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Heike Eva Schmidt

Heike Eva Schmidt

Titel: Heike Eva Schmidt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Purpurmond
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liegen, doch zu meiner Erleichterung manifestierten sich die vertrauten, weiß gestrichenen Holzbalken und die Beine meines Schreibtisches vor meinen Augen. Ich war in meinem Zimmer. Das einzig Ungewöhnliche war, dass ich nicht in meinem Bett lag, sondern auf dem dicken, weichen Berberteppich. Ich war tatsächlich wieder zu Hause, im Jahr 2012.
    Trotzdem tastete ich ängstlich den Boden ab und fürchtete fast, immer noch verbranntes Fleisch zu riechen. Doch stattdessen stieg mir der Duft frisch gewaschener Klamotten in die Nase, die neben mir im Wäschekorb lagen.
    Meine Erleichterung war unbeschreiblich. Als hätte jemand einen dicken Felsbrocken von mir heruntergewälzt und ich könnte endlich wieder atmen. Spontan umarmte ich meine Schultasche – etwas anderes war gerade nicht greifbar. Außerdem war ich in diesem Moment sogar froh, zur Schule gehen zu dürfen, statt in irgendeinem vergangenen Jahrhundert festzusitzen. Mein Blick schweifte durchs Zimmer. Der weiche Teppich vor meinem Sessel, meine wild verstreuten Klamotten aus dem letzten Schlussverkauf, ja sogar mein uralter Laptop, über den ich sonst immer meckerte, weil er so lahm war – all das schien mir auf einmal unendlich kostbar. Weil ich für eine kurze Zeit gedacht hatte, nichts davon jemals wiederzusehen. Was für ein Alptraum!
    Ob mir Sina bei der Party irgendwas in den Sekt gemischt hatte? Merkwürdig, dass ich überhaupt keine Erinnerung daran hatte, wie ich aus dem Keller des Drudenhauses herausgekommen war. Dafür waren die Traumbilder geradezu unheimlich real. Ich sah die Kleidung der Leute immer noch bildlich vor mir. Auch den Brandgeruch des Scheiterhaufens würde ich so schnell nicht wieder vergessen. Ich schüttelte mich vor Entsetzen, wenn ich an die drei erbärmlichen Gestalten dachte, die da im Feuer gestorben waren …
    Zum Glück war das alles nur ein Traum. Genau wie das Schriftstück und der Halsreif im Keller des Drudenhauses. Reflexartig wanderte meine Hand zu meinem Hals, und ich fühlte etwas Hartes, Glattes. Wie von der Tarantel gestochen sprang ich auf und rannte zum Spiegel. Tatsächlich: Ich trug immer noch den schmalen, rotgoldenen Kupferreif! Ein paar Sekunden lang starrte ich entgeistert auf mein Spiegelbild. Der Hohlraum in der Mauer des Kellerverlieses war also keine Halluzination gewesen! Aber vielleicht war der Schmuck schuld an meiner schlimmen Nacht? Bestimmt hatte mich der Fund derart aufgewühlt, dass ich mir im Schlaf eine Geschichte dazu ausgedacht hatte.
    Ich beschloss, den Halsreif in ein Schmuckkästchen zu legen und ihn dann ganz hinten in meinem Schrank aufzubewahren. Er war mir unheimlich geworden, und ich wollte ihn nicht mehr auf meiner Haut spüren. Ich stellte mich näher vor den Spiegel und versuchte, den Reif zu drehen, um nach dem Haken zu suchen, mit dem ich den Reif gestern geschlossen hatte, doch da war nichts als der glatte Metallring. Ich zog und zerrte – vergebens. Das einzige Resultat war, dass meine Haut brannte und sich zu röten begann. Ungläubig ließ ich die Hände sinken. Als ich an mir herunterblickte, zuckte ich zusammen: Mein Shirt war so fleckig und die Hose so zerrissen wie in meinem vermeintlichen »Traum«. Das gibt’s doch nicht, dachte ich fassungslos. Aus dem Spiegel starrte mir mein bleiches Gesicht entgegen. Scheinbar harmlos lag der Kupferreif um meinen Hals. Alle würden annehmen, ich hätte mir ein hübsches Accessoire zugelegt. Doch ich fühlte, wie kalte Angst von mir Besitz ergriff. Auf unerklärliche Weise war das Fundstück aus dem Drudenhaus für mich zu einer Fessel geworden.

Kapitel 4
    B ehutsam holte Dorothea den Schmuck aus dem geschnitzten Kästchen. Wehmütig betrachtete sie den schlichten Ehering aus Silber. Es war das einzig Wertvolle, was ihre Mutter je besessen hatte. Und auch wenn ihr Mann, Dorotheas Vater, schon vor 15 Jahren beim Holzfällen im Wald ums Leben gekommen war, den Ring hatte die Mutter nie abgelegt. Bis zu ihrem Tod. Dorotheas Augen füllten sich mit Tränen, als sie die schmale Hand mit den feingliedrigen Fingern vor sich sah. Fast konnte sie die Berührung auf der Stirn spüren, mit der ihre Mutter in rauen Winternächten geprüft hatte, ob Dorothea Fieber hatte. Die kühle Hand auf der heißen Haut war stets ein Trost gewesen, egal, wie schwach und krank Dorothea sich gefühlt hatte. Nun kümmerte sich niemand mehr um sie, dabei hätte sie gerade jetzt, da Daniel ihr das Herz gebrochen hatte, den mütterlichen Trost so sehr

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