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Heile Welt

Heile Welt

Titel: Heile Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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offensichtlich war das nicht der Fall, obwohl jetzt beide an die Kegelkugeln dachten, die ja eigentlich ins Revier des Seelsorgers gehörten. Die gemäßigte Stimmung rührt daher, daß Ortlepp Matthias an diesem Tag, wie an jedem Sonntagmorgen, in der Kirche gesehen hatte.

    Von bäuerlichem Hausrat war nicht die Rede in dieser Stunde, es herrschte brummelnde Gemütlichkeit vor, in der auch ein wenig gelacht wurde, denn Matthias berichtete von dem Spitz, der noch immer Tag für Tag seine Wurstscheibe holte. Auch der Pfarrer hatte Hundeerlebnisse auf Lager, er habe mal einen ganzen Nachmittag mit einem jungen Hund gespielt, im Vikariat an der Weser. Der Pfarrer dort noch ganz alte Schule, orthodox, o Gott! Gesetzestreue ganz schön und gut – aber man kann’s auch übertreiben. Als er in aller Unschuld zu einer Radtour mit seiner damaligen Freundin, seiner jetzigen Frau hatte aufbrechen wollen, sei er ins Studierzimmer des alten Herrn geholt worden und streng vermahnt!

    Dann sprach er vom Krieg. Ortsbauernführer Fitschen hatte die Pflicht gehabt, in die Häuser zu gehen und es den Frauen mitzuteilen, daß ihr Sohn gefallen ist oder der Mann. Der habe ihn dann eines Tages gefragt:«Wollen Sie das nicht machen, Herr Pastor?»Und dann habe er das auf sich genommen. Schrecklich, wenn ihn die betreffende Bauersfrau dann so herzlich begrüßte auf der Diele oder im Garten, sich freut, daß er mal wieder zu ihr kommt und nach dem Rechten schaut, und dann mußte er ihr sagen: Liebe Frau, seien Sie mal ganz stark, Ihr Sohn ist gefallen…
    Er sprach auch von dem jüdischen Viehhändler, ein großer, finsterer Mann, schwarzes Haar, kräftig…, daß der noch grade eben sein Vieh habe verkaufen können, an Claasen in Klein-Wense, und daß er dann noch hatte entwischen können, im letzten Augenblick, nach Schweden. Dem Vieh sähe man heute noch die besondere Rasse an, das seien ungewöhnlich große Kühe, daß sich das so lange hält?

    Nachdem der Pastor mehrere Male die Uhr herausgeholt hatte und mit der Turmuhr verglichen, ob es tatsächlich schon so spät ist, kam die Frau herein und bat zum Kaffee, ziemlich gequält, mit der Mittagsruhe war es mal wieder Essig gewesen, gab Matthias mit schiefem Mund die Hand, die vielen Menschen, immer und immer so viel zu tun, und sie möchte sich auch mal an’n gedeckten Tisch setzen…

    Der Kaffeetisch stand auf der Wiese unter einem großen Kirschbaum, ein bißchen wackelig, man mußte etwas mit den Knien gegenhalten. Fetter Käsekuchen wurde gereicht und Apfeltorte mit Schlagsahne, Wespen drum herum. Es war eine alte neunzigjährige Tante dabei, Tante Hedda, ein bißchen Silberputzen und Wäschelegen, das konnte sie noch, und ein Hilfsmädchen aus der Gegend von Sheffield, Denny, auf englische Weise häßlich, aber auf ihre Art phantasieanregend, sowie Frau Wannenfeld, eine Freundin der Pastorsfrau, plus Kinder: Junge und Mädchen, die still am Tisch saßen mit krummem Rücken. Es war also eine volle Runde, und sie sollte noch voller werden, der ortsansässige Schriftsteller war geladen, Alexander Sowtschick, wie schon häufiger, aber bisher noch nie gekommen. Diesmal hatte er fest zugesagt, Frau Wannenfeld hatte extra seinetwegen ein Buch von ihm und ihren Fotoapparat mitgebracht! Noch war er nicht da, diese Künstler nahmen es ja nie so genau, aber er würde schon noch kommen. Allerdings ewig konnte man ja auch nicht warten. Also: schon mal anfangen.
    Die alte neunzigjährige Tante legte Matthias ein Stück Kuchen nach dem andern auf, leider vorwiegend Käsekuchen, den er nicht mochte, die Rosinen darin machten die Sache noch schlimmer. Hielt den Deckel der Kaffeekanne fest beim Eingießen (der Weinrebenknauf war schon einmal abgebrochen), und Matthias hielt ihr die Tasse auf der Untertasse entgegen, wie es in sämtlichen Benimm-dich-Büchern der ganzen Welt gefordert wird, den kleinen Finger ließ er freilich eingerollt.

    Der Pastor saß an der Schmalseite des Tisches, er trank keinen Kaffee, sondern Tee mit Sahne, Kaffee könne er nicht vertragen, sagte er. Auch Extrakuchen bekam er. Hatte er denn Diabetes? Der Sonnenschirm, der die Runde in angenehmem Schatten hielt, war eine Neuanschaffung, der Fuß mit Wasser gefüllt, eine französische Erfindung, das gluckerte darin, und die ganze Chose fiel natürlich um beim leisesten Windhauch. Da waren die guten alten ehrlichen Betonfüße deutscher Produktion doch sicherer gewesen. – Die Pastorin hatte sich neben den Schirm

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