Heile Welt
Jugendzeit zu memorieren:«Wer jetzig Zeiten leben will, muß han ein tapfers Herze… »So manche Nacht im Heuschober verbracht, bei Gewitter und Platzregen, und über Landstraßen marschiert unter glühender Sonne, die Eifel hinauf – hinunter, mit dampfenden Socken… Maria Laach, von einem Mönch einen Schluck köstlichen Wassers aus dem Brunnen gereicht bekommen…«Kein schöner Land in dieser Zeit… »
Die Pastorenfrau stellte sich hinter seinen Stuhl, und das muß von der Straße aus ein schönes Bild gewesen sein, der weiß gedeckte Tisch mit der gemütlichen Kaffeekanne und dem geblümten Geschirr, der Pastor mit seiner Laute – waren seine Augen gar feucht geworden? – und die Runde der Lauschenden, denen all die schönen, mit voller Stimme vorgetragenen Lieder ebenfalls Erinnerungen weckten an Heuschober und an Brunnen, mit Ausnahme des englischen Hilfsmädchens, das jetzt leider mit den Kindern zu flüstern begann, je lauter der Pastor sang, desto vernehmlicher. Sie zeigte ihnen, wie man die Hand zum Fernrohr krümmen kann und durchgucken und sehen, wie der Wind dem Pastor das Haar verwirft, was Frau Wannenfeld sich gerade zu fotografieren anschickte. Sie hatte schon so manches Bild von ihm gemacht.
Matthias hatte den Sonnenschirm fest im Griff, damit die Pastorsfrau weiter hinter ihrem Gatten stehen und die zweite Stimme singen konnte. Nicht auszudenken, wenn der Schirm umgekippt wäre und mit den Stangen in den Kuchen gepiekt.«Kommt ihr Gspielen, wir wolln uns kühlen…»
Der«Sommernachtstraum»in Bad Hersfeld, dort hatte sie den Menschen kennengelernt, dem sie nun schon über dreißig Jahre ein guter Kamerad war, durch alle Stürme und Fährnisse des Lebens hindurch. Manchmal gar nicht so einfach. Wenn er dann nachts ihre Hand griff und ihr die Katastrophen beichtete, hervorgerufen durch fleischlische Anfechtung?
Matthias hielt den Schirm mit der einen und den Strohhut mit der anderen Hand, er wollte mal sehen, ob das englische Mädchen das Händefernglas nicht auch ein wenig auf ihn richtete?
Nun wurden die Stirnen gerunzelt, Unmut machte sich breit, denn von der Pforte her scholl fröhlicher Gruß. Die Pastorenfrau sackte zusammen, und der Pfarrer stellte seine Laute weg. Um Himmels willen, auch das noch! Am Zaun standen zwei Männer, die, sobald man sie erblickt hatte, auch schon durch die Pforte hereinkamen. Es waren Ferdinand und August, zwei Dorforiginale, die nicht ganz richtig im Kopf waren. Von der Inneren Mission bei Bauern in Pension gegeben, wo sie dann ab und zu ein wenig zupackten.
Die beiden Männer, Ferdinand klein und dick mit Glatze und August hager mit schwarzem Haar, wurden notgedrungen an den Tisch gebeten. Die Pastorenfrau rannte in die Küche, weil Denny sich nicht rührte, Tassen und Teller zu holen, und dann schaufelten sie auch schon Käsekuchen in sich hinein.
Zum Dank sangen sie der Runde nun ihrerseits etwas vor, das heißt, Ferdinand sang so lala-lala, und August spielte Mundharmonika dazu: Großer Gott, wir loben dich! Ja, das konnten die, und das war dann ganz originell, aber nicht für den Pastor und seine Frau, weil sich das nämlich jeden Sonntag um dieselbe Zeit ereignete, dieses Originelle, und weil sie ja jetzt eigentlich selber singen wollten. Frau Wannenfeld machte auch von diesen Gästen schnell ein paar Bilder, und dann drückte man ihnen auch schon eine Mark in die Hand und schob sie hinaus.
Die Pastorenfrau atmete auf. Aber nun mußten die abgegessenen Teller weggeräumt werden, und das blieb wieder an ihr hängen. Beim Hinausgeleiten der beiden Sangesbrüder guckte der Pastor noch einmal kurz die Straße hinunter, ob der Literat nicht kommt, nicht zu auffällig guckte er, damit die Gäste nicht denken, er legt großen Wert auf die Anwesenheit dieses Mannes. Aber immerhin. Kaum hatte er sich wieder gesetzt, leicht mit dem Kopfe schüttelnd und eben noch mal zur Pforte sehend, da war ihm so, als klingelte das Telefon, und er sagte zu seiner Frau – beim drittenmal:«Anneliese – was ist denn?»Und die dann wetz-wetz-wetz hineingestolpert ins Haus! Es war der Schriftsteller, der sich tausendmal entschuldigte und herzlich grüßen ließ. Sein Verleger sei überraschend gekommen, mit dem wolle er den neuen Roman durchgehen.
Es war zwar höchst unwahrscheinlich, daß der Verleger an einem heißen Sonntag im Juni sich von München nach Sassenholz bemühen würde, aber der Anruf gereichte dem Kreis zur Bedeutsamkeit, und der Form war Genüge
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