Heile Welt
schiefgelaufen.
Der Bus war bereits da, mit laufendem Motor stand er auf dem Parkplatz. Der Fahrer hatte auch seine Ängste, ob er sich zurechtfindet in der Stadt, der hatte diese Tour noch nie gemacht.
Nun mußte noch die Heimfahrt der tobenden, schreienden Bagage durchgestanden werden. Man hatte insofern noch Glück, als auf der Autobahn bei Sittensen ein Lastzug umgekippt war und Tausende von Schachteln verstreut. Wie gut, daß das kein Schweinetransport gewesen war! Der Bus fuhr achtungsvoll vorüber, und alle Kinder standen an den Fenstern.
27
A n einem Sonntag im Juni machte Matthias doch noch einen regulären Antrittsbesuch beim Pastor in Sassenholz, zum Kaffee paßte es, und der wurde im Garten eingenommen.
Am Morgen fuhr Matthias zunächst noch zur Kirche. Die Predigt handelte von dem kleinsten Tüttel des Gesetzes, den man nicht weglassen darf, und Pfarrer Ortlepp brachte eine Menge Beispiele von geschriebenen und ungeschriebenen Gesetzen, von Anstand und von Sitte. Wenn man daran erst mal zu rütteln beginnt, stürzt alles ein. Das Wort«Tüttel»schallte immer wieder durch die Kirche und klang sehr norddeutsch.
Wer erinnere sich nicht an dieses häßliche Bild, vor einigen Jahren um die Welt gegangen, von den Oxford-Studenten, wie sie nicht einmal die Hände aus den Taschen nahmen, als Bundespräsident Heuss, dieser gebildete, feinsinnige Demokrat, ihnen einen Besuch abstattete. Wer Autoritäten nicht achtet, nicht mehr weiß, wo oben und unten ist, der verletzt die Spielregeln, deren Einhaltung Demokratie überhaupt erst möglich macht. Wieviel mehr im Raum der Kirche, dem Vorhofe Gottes? Wer in einem Gotteshaus, zum Beispiel, in der Kirchenbank sitzend die Beine übereinanderschlägt, der beweist schon damit, daß für ihn das Bethaus eine Jahrmarktsbude ist.
Matthias aß in der«Linde»zu Mittag, wobei er die traurige Schwiegertochter mit den rötlichen Germanenhaaren nicht aus den Augen ließ, wie sie die Biergläser auf die fest montierte Säuberungsbürste im Waschbecken stieß, versonnen, halb abwesendkummervoll? Ein deutsches Beefsteak aß er, mit Salzgurke und Bratkartoffeln, und er hielt die junge Frau dabei unter Kontrolle. Dann setzte er sich an die Eische, mit aufgeknöpftem Rock und Strohhut in Reichweite.
Wie es auf dem Grunde des Flüßchens wohl aussieht, dachte er:«Alte Eimer und jedweder Hausrat von alters her», sagte er laut.
Punkt drei Uhr schellte er an der Tür des Pastorats.
«Ah, unser junger Freund…»
Zuerst einmal wurde er in die Studierstube geschoben, die superlange Blockflöte der Tochter in einem Spezialständer, Noten vom Bärenreiter-Verlag auf dem Klavier, und in der Ecke ein brauner Kachelofen mit vernickeltem Schieber in Augenhöhe, für Äpfel?
Auf dem kolossalen Schreibtisch des Pastors standen schräg gestellt Fotos von sogenannten Angehörigen, daneben ein Fläschchen mit Gallensteinen, die ihm vor Jahren entfernt worden waren. Auf einem Seitentisch lagen Bibel und Gesangbuch, und an der Wand hing ein Kruzifix, mit verschiedenfarbigen Strohblumen dekoriert.
Im Bücherschrank Wiechert, Hesse und Tolstoi: Unterstes Bord schrägstehende Aktenordner, Kirchenakten und wohl auch Privates. Vielleicht Schriftstücke, die sich mit Alimentenregelungen befaßten?
Der Pfarrer saß in seinem Lieblingssessel im schwarzen Anzug, die goldne Uhr an einem Kettchen in der Kavalierstasche. Matthias ihm gegenüber, gegen das Fensterlicht guckend, und davor hatte er die Silhouette des geistlichen Herrn. Wenn er die Augen schloß, sah er das helle Fenster und das dunkle Fensterkreuz, und davor den geistlichen Klumpen.
Daß seine Tochter, dieses Schlitzohr, einen Mathematiker geheiratet habe, hörte er ihn sagen, Professor an der Stanford University, diese alte Geschichte, leider von einer Schuppenflechte geplagt, die neuerdings mit Eigenurin behandelt werde…, -«jeden Tag das Bett mit dem Staubsauger aussaugen!»-, die lebe also in den USA. Erst Pädagogik studiert und dann einen Professor geheiratet – und prompt Zwillinge gekriegt! Zwei Mädchen! Allerliebst! Und seine beiden Söhne prachtvolle Kerle,«Schränke»von Statur, die studierten Medizin in Marburg und Kiel. Der Ältere sei auch ein ziemliches Schlitzohr. Daß der soeben durch das Physikum gefallen war, behielt er für sich.
Matthias dachte an die warnenden Worte des Kollegen Klein und an dessen Frage, ob der Pfarrer eventuell etwas gegen ihn habe? Ob er ihm auf die Füße getreten sei? Aber
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