Heile Welt
getan.
«Der Mann wird uns ja wohl nicht ins Gesicht lügen…?»Um das nicht tun zu müssen, hatte er ja das Telefon benutzt.
Wo war man stehengeblieben? Ach ja, der Krieg… Frau Wannenfeld wollte von Denny wissen, ob in London immer noch viel kaputt ist und ob ihr Vater auch Soldat gewesen sei?
Nein, sagte das englische Mädchen, der sei bei der Feuerwehr gewesen, und in ihrem Ort sei keine Bombe gefallen, soviel sie wisse. Sie hätten übrigens keinen Keller gehabt, die schwangere Mutter immer unter der Treppe gesessen bei Alarm, mit ihrem dicken Bauch.
Frau Wannenfeld hatte eine englische Kusine in Sheffield; vor dem Krieg, immer geschrieben, dann nie wieder was von ihr gehört.
«Sheffield? Gab’s da nicht so schöne Taschenmesser?»warf der Pastor ein.
«Ist in England der Haß noch groß?»fragte die Pastorin. Sie meine, die Bomben und die Sache mit den Juden? Trügen die Briten uns das noch nach?
Davon wußte Denny nichts zu sagen, sie mußte sich der Wespen erwehren, die besonders sie umschwärmten, und nun ging sie mit den Kindern zur Schaukel, die an einem Ast des Kirschbaums befestigt war, und der Pastor fragte sich, ob er nicht mit hinübergehen sollte und dem Mädchen zur Seite stehen?
Ihr Gesäß hatte sich in ihrem Rock ausgeformt, vom langen Sitzen, das war etwas peinlich für alle, weil jeder sich fragte, sehen die anderen das auch?
Der Pastor holte seine Laute wieder hervor,
«Festhalten! Festhalten!»rief er den Kindern zu.«Herrgott noch mal, die brechen sich doch alle Knochen!»
Laute wieder wegstellen, eigenartig, daß man selbst auf dem Lande nicht eine einzige Minute Ruhe hat.
Nun hatte man ja jeglichen Faden verloren.
Ein besonderes Kapitel war Ernst Werner von Kallroy, das wurde jetzt angeschnitten, der Maler in seiner Villa am Fluß, die jetzt nach und nach verfällt, und die Tochter sitzt ganz schön auf dem trocknen, weil die Entschädigung noch nicht durch ist und weil die Tante den Daumen auf dem Geldbeutel hält.
Der arme Mann… zu Weihnachten 1944 abgeholt, dauernd immer so unvorsichtig geredet, und wohl irgendwelche Leute aufgenommen? Illegale?
Hier räusperte sich Matthias und fragte ganz direkt: Ob man denn wisse, wer ihn denunziert hat?
Da wurd’s still, und der Pastor sagte, man solle über niemanden schlecht reden, aber der Kreis der Verdächtigen sei klein, sehr klein, beim Doppelkopf wär’s passiert, soviel er wisse… Es gäbe aber auch noch eine ganz andere Theorie. Wer kennt die Herzen der Menschen? Wer schaut in sie hinein?
Im übrigen habe Ellinor von Kallroy was mit den französischen Kriegsgefangenen gehabt. Ein hübscher Bursche dabei, der hätte sich immer getroffen mit ihr, mitten im Dorf! Wo doch jeder jeden kennt und alle alles wissen! Wie kann man sich denn mitten im Dorf treffen? Wenn man so was vorhat, geht man doch besser in den Wald oder zur Hexenbrücke? – Der Franzose sei dann ja auch zugrunde gegangen irgendwie. Hübsche Blechbüchsen verfertigt, soviel wisse man noch, bunt bemalt.
Ruhelos sei sie, fahre dauernd nach Bremen und sonstwohin und habe ständig Besuch, aus Dortmund, von überallher, Leute, die aber wohl eher der Bilder wegen kämen.
Diese Bilder wären im übrigen Geschmackssache, sagte der Pastor, zum mindesten könnte man geteilter Meinung sein. Die Theologie stimme nicht ganz, das sei seine Ansicht, der pantheistische Einschlag störe ihn. Keinen Grashalm anknicken, weil womöglich im Gras und in den Bäumen der liebe Gott wohnt?«Also, ich bitte Sie…»
In der Kirche von Kreuzthal habe man kurzen Prozeß mit den Fresken des Herrn von Kallroy gemacht, schon 1938, bei Nacht und Nebel alles übertüncht.
Das wär’ dann später noch so peinlich gewesen: Der englische Stadtkommandant, ein gebildeter Mensch, habe sich erkundigt, gleich nach dem Einmarsch, ob von Kallroy, dem Maler, nicht irgendwelche Bilder in Kreuzthal existierten? Hätte man dem dann sagen sollen: Wir haben alles übergekalkt?
«Ein ordentlicher Mann, der englische Kommandant», sagte der Pastor, um das englische Mädchen zu beruhigen. Obwohl die Sache mit den beiden Jungen, die er als Werwölfe habe aburteilen lassen, nicht in Ordnung gewesen war. Blutjung! – Was die Ausmalung der Kirche angehe, hier in Sassenholz, da seien die Tage auch gezählt! Aus dem feuchten Gestein blühe bereits der Salpeter heraus…
Die goldenen Zeiger auf der Kirchturmuhr wanderten von Viertelstunde zu Viertelstunde und hing! ging’s und bam!, und die
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