Heile Welt
eingesperrt?»
Mit Ostreisen konnten die andern beiden Herren aus Bremen nicht aufwarten, sie hielten sich merklich zurück, einer von ihnen war auch gar kein Dramaturg, sondern ein Mensch fürs Technische, und der andere war nur mal mitgekommen, der interessierte sich eigentlich nur für die Bilder. Er war es, der die Fotos gemacht hatte, er würde sie dem«Weser-Kurier»anbieten, mitsamt einer Reportage, vielleicht auch einem Kunsthändler zeigen, aber der würde die Hände dann über dem Kopf zusammenschlagen und sagen: Was? Gegenständlich? Bei mir geht nur Abstraktes.
Schließlich wurde gesagt, also man könne den Bremern durchaus einen Abend mit Knastgeschichten anbieten, absolut improvisiert. Die Bühne ganz in Schwarz, nur von oben einen Lichtstrahl, und im Foyer könne man ein paar Bilder von Kallroy ausstellen, fünf, sechs Stück, im Kleinen Haus wär’ ja leider nicht soviel Platz.
Die Sache mit dem Lichtballett werde man sich noch mal durch den Kopf gehen lassen. Das deichselten sie irgendwie. Vielleicht im nächsten Jahr?
Gläser wurden gefüllt, es wurde angestoßen – es ging schon auf sechs Uhr zu, und da kam noch ein Besucher – das Wort vom Taubenschlag machte die Runde -, ein älterer Herr mit Glasauge. Er wollte zu Fräulein von Kallroy, womit nicht Ellinor, sondern die Tante gemeint war. Man stellte ihm einen Stuhl neben die Tür und hieß ihn warten und, das war merkwürdig, nach einer Viertelstunde kam die Tante von oben, frisch frisiert und ordentlich angezogen, und holte ihren Besucher ab. Sie mochte schon den ganzen Tag auf ihn gewartet haben.
Ellinor steckte den Kopf in den Kamin, um zu horchen, was die da oben zu verhandeln haben, aber leider war die Abzugsklappe geschlossen, so konnte sie nichts mitkriegen.
Wo war man stehengeblieben? – Daß man ja eigentlich am Nachmittag noch nicht soviel trinken soll, aber warum nicht? Auch wenn man dann unnatürlich lebhaft wird.
Alfons Säckel begleitete Matthias nach Haus, die Schule wollte er sehen. Matthias schwang sich auf sein Fahrrad. Ob er Linkshänder sei, fragte ihn Säckel, weil er nämlich falsch rum aufs Rad steigt? Und er zeigte es ihm, wie jeder normaler Mensch aufs Rad steigt, andersrum, also mit dem rechten Bein zuerst.
Vielleicht auch eine Folge der schlimmen Jahre? Nach so vielen Jahren weiß man natürlich nicht mehr so genau, wo’s langgeht. Und dann saßen sie in der Dachkammer und tranken ein Bier. Und gegenüber ging Carla enttäuscht ins Haus, die hatte eigentlich zu Matthias hinaufhuschen wollen: Wie sein Freund aus Wuppertal das gemeint habe mit dem Campingwagen-Grundstück, das interessierte sie, oder vielmehr ihren Vater, darüber hätte sie gern Genaueres gehört.
Matthias sei ja ein ganz ein Schlauer, sagte Säckel und sah Matthias von der Seite an, das sei ihm jetzt absolut klar, ein sehr Schlauer sogar! Aufs Land gehen, Wohnung, Garten und festes Gehalt. Er selbst schlafe im Atelier unterm Tisch, auf einer Matratze, die er am Tag zusammenrollt! Und wenn sie ihn in der Volkshochschule abmeierten, dann habe er keine Ahnung, was er machen soll. Mit Mädchen sähe es hier aber wohl schlecht aus, was? Er mache das immer folgendermaßen: Wenn er einen neuen Kurs bekäme, dann gucke er sich erst mal die Frauen an, und dann picke er sich die beste raus.
Ob er Ellinor pimpere?, wurde Matthias nicht gefragt, obwohl die Frage im Raume stand.«Trinkt sie?»Dies Mollige an ihr sei an sich ja ganz reizvoll.
Auch über die drei Dramaturgen sprachen sie, von denen zwei gar keine Dramaturgen waren: Der eine mit seinen riesigen Füßen! O Gott!
Und der Lange mit dem Bart? Ein typischer Dünnbrettbohrer.
«Je progressiver sie aussehen, desto spießiger sind sie.»
«Wissen Sie», sagte Säckel,«was das Schönste war bei der Kallroy? Haben Sie die Holzkugel gesehen? – Eigentlich fremd dort, so klar und einfach…»Das hätte er ihr eigentlich gar nicht zugetraut, daß sie sich so was Schönes hinstellt.
Ob er ihm nicht ein Mobile machen kann, für seine Klasse, fragte ihn Matthias schließlich, vielleicht Möwen oder Segelschiffe, die wippen dann so schön, wenn einer das Fenster öffnet? Mobile? Verrückt geworden? Mit so was Schwachsinnigem befasse er sich nicht, sagte Säckel. Und dann stand er auf und eilte zurück ins Künstlerhaus, vielleicht waren die Dramaturgen ja noch da, eine schöne Gelegenheit, mal wieder tüchtig zu bechern.
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A uch Matthias Jänicke – Besoldungsnummer 01/578399-77/B –
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