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Heile Welt

Heile Welt

Titel: Heile Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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hatte und mal sehen wollte, was Matthias anfängt mit den Schülern im Wald. Daß sie da so trübsinnig am Boden hockten, wunderte sie. Kein bißchen Stimmung? Ob sie denn gar nicht«Wechselt, wechselt das Bäumelein!»kennen? Los!, mal alle schnell aufstellen, wie geht das man noch? Oder«Räuber und Gendarm?»Die einen müssen die andern fangen?
    «Gott, sind die lahm…»
    Auch Matthias war nicht in Stimmung zu bringen. Ob er denn gar kein bißchen Schwung hat?, fragte sie ihn, und sie zeigte ihm Zittergräser, wie schön zart die sind, und sie zittern tatsächlich! Ob er den Kindern nicht mal zeigen will, wie schön zart diese Gräser sind? Und daß die richtig zittern! – Dann entdeckte sie die Zwergenhäuser, und sie fand sie süß, und sie hätte gar nicht gedacht, daß den Kindern so was Hübsches einfällt!
    Sie wurde ruhiger und lächelte versonnen vor sich hin. Dachte sie an die Franzosen, die hier gearbeitet hatten. Ihr Vater hatte gesagt:«Mach das nicht zu auffällig, muß das nun jeder sehn?»Der Vater, den man durch die Fluren schreiten sah, den Malkasten unter dem Arm und ein Fläschchen mit Wasser zum Lösen der Farben. Immer so lustig und verständnisvoll und dann im Massengrab gelandet.
    Ellinor zeigte dem jungen Schulmeister immer noch Gräser und wie schön sie zittern… Schließlich sagte sie:«Na denn…»Matthias begleitete sie zu ihrem Fahrrad und faßte über sie hinweg und klingelte an ihrer Klingel, weswegen sie denn auch fest sein Handgelenk packte und es zur Seite tat, von wegen der heiligen Stille des Waldes, und dann fuhr sie ab.
    «Mollig ist sie», dachte Matthias, angenehm mollig. Aber: weshalb Hosenrock?

    Auf dem Nachhauseweg beschäftigte Matthias die Kinder damit, daß er sie Steine suchen ließ, einzelne, besonders schöne Steine; und immer wenn sie einen noch schöneren sähen, sollten sie den anderen wegwerfen. Auf dem Pult würden dann nachher die siebenundzwanzig auserwählten Steine liegen, mal sehen, welcher der allerschönste ist. – Das hatte er im Seminar bei Petersen gelernt, immerfort beschäftigen die Kinder, sonst kommen sie auf dumme Gedanken. Wer so handelt als Lehrer, hat auf dem Nachhauseweg keine Scherereien. Der Bindfaden, den Matthias mitgenommen hatte, für alle Fälle, ward den beiden kleinen Mädchen Gitte und Ursula ans Handgelenk gebunden, und Luers durfte sie in Art eines Gespanns vor sich her lenken. Daß er mit einem Zweig auf sie eindrosch, mußte natürlich sofort unterbunden werden. Die Großen, die zuvor weit vorausgelaufen waren, ließen sich nun Zeit, als Matthias schon längst in der Schule war und sich am Wasserhahn vollaufen ließ, kamen sie endlich auch angeschlichen.
    Nie wieder so einen Ausflug machen, dachte Matthias, aber der Tag war herumgegangen.

    Leider fand sich auf der Tafel unter seinem Hinweis:«Wir gehen in den Wald»eine energische Notiz:«Dieser Unterrichtsgang hätte angemeldet werden müssen! Egon Bocke, Schulrat.»So wäre man also auf diese Weise um eine Visitation herumgekommen.

    Am Abend, als Matthias in seinem Wolkenzimmer saß und das Verdämmern der Sonne beobachtete, das Notizbuch in der Hand: wenn ihm was einfällt zu dem Naturschauspiel, daß er es dann beschreibt, kam Carla, sie brachte ihm eine Schüssel rote Grütze mit Vanillesoße und erzählte, daß jemand angerufen hat, eine Frau, aber keinen Namen genannt.
    «Junge Stimme? Alte Stimme? – Was hat sie gesagt?»
    Nichts weiter.
    War Lilli denn wieder aufgewacht? Oder handelte es sich um jemand von sonstwoher?

    Carla hatte den ganzen Tag auf dem Feld gearbeitet. Sie trug einen blau gestreiften Rock und dazu eine weiße Leinenbluse, und sie grinste und kriegte es nicht hin, daß aus dem Grinsen ein Lächeln wurde, und Matthias in seiner Bude mußte warten, bis es dunkler wurde. Und dann wühlten sie auf dem Bett herum und schnauften. Etwas beeinträchtigt wurde dieses Tun dadurch, daß Carla, als es auf den Höhepunkt zusteuerte, zwanghaft das linke Auge zukniff. Matthias erzählte ihr zwischendurch, daß er um eine Visitation herumgekommen sei und wie unglaublich bescheuert es gewesen war, daß Ellinor da im Wald erschien, und Carla konnte gar nicht genug kriegen, immer wieder mußte er beschreiben, wie die da ankam auf ihrem Fahrrad und Stimmung verbreiten wollte.«Bäumchen, Bäumchen, wechsel dich!»und so weiter.
    Aber dann gerieten die beiden auch schon wieder aneinander, mit Auge zukneifen und allem Drum und Dran, und es wurde noch sehr schön,

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