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Heile Welt

Heile Welt

Titel: Heile Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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da spielten sie dann«Dritten abschlagen»zu zweit.«Eig’tlich nich richtig, watt?»sagte Carla zum Schluß, als sie sich aufrichtete. Nun, das war so lang wie breit.

33

    E in langweiliger, heißer Sonntag.
    Der Sonnenscheinwerfer war voll auf das Morgenfenster gerichtet. Matthias griff nach seinem Buch, Nansen:«In Schnee und Eis». Aber dann kam der Spitz und störte ihn auf. Matthias gab ihm den Wurstobolus und sagte zu ihm, daß das nicht so angenehm ist, auf dem Lande, sonntags, wenn man ganz allein ist. Der Hund bewegte die schwarze Nasenspitze, der verstand das. Aber als es zu lange dauerte, bellte er einmal kurz und lief dann doch davon: Er hatte schließlich noch was anderes zu tun.

    Matthias stieg in die Pantoffel und trat an das Morgenfenster. Bei Freedes gegenüber sah er ein Auto halten: Carla wurde abgeholt von ihrem Eleven. Der alte Vater, unrasiert und die Haare zu Berge, hatte die Hände vor dem Bauch gefaltet und drehte die Daumen umeinander: Was mach’ ich bloß, wenn das Mädchen aus dem Haus geht?

    Carla stieg in das Auto und sah zu Matthias hinüber. Nichts zu machen heute… Schützenfest in Ossenstedt, das ist nun mal so, da muß man eben hinfahren. Da ist absolut nichts zu machen… Aber morgen ist sie wieder da.
    «Wie der sie wohl bürstet…», dachte Matthias. Er stellte sich das Gewaltsame eines Eleven-Aktes vor, gewaltsam und langweilig.«So beweisend, als ob er etwas beweisen will… So als ob er ihr Bescheid sagen will, daß es so ist und nicht anders.»

    Durch das andere Fenster sah er Anita Fitschen Blumen pflücken, die sie ihm gesät und gepflegt hatte und nun gleich als große Überraschung vor seine Tür legen würde: Was das wohl für eine Freude ist, wenn er einen so schönen Blumenstrauß aus seinem eignen Garten vorfindet, den sie für ihn gepflückt hat, Stiel für Stiel. Ein an sich ganz nettes Mädchen, mit freundlichem Gesicht, aber mit einer unförmigen Kehrseite, die man immer würde berücksichtigen müssen, wenn man sich mit ihr einließe, eine groteske Sache, nicht für Menschen wie Matthias geschaffen, und überdies höchstwahrscheinlich mit Geruch behaftet. Als Matthias sie da Blumen pflücken sah, sehnte er sich nach Kreuzthal ins Freibad, genauer gesagt in das«Cafe Freibad»…, wo er aus sicherer Entfernung junge Leute beobachten konnte, die hintereinander her rennen, schmalhüftig, und ins Wasser hechten…

    Der Eleve würde wahrscheinlich auf ganz andere Gedanken kommen im Hinblick auf die Kehrseite dieses überreifen Geschöpfes. Der würde vielleicht an einen saftigen Apfel denken, in den man beißen kann, und der Saft läuft einem aus den Mundwinkeln… Eigentlich natürlicher, so ein Fettwuchs, dachte Matthias, als Schmalhüftigkeit. Man muß schließlich etwas zuzusetzen haben in Zeiten äußerster Not.
    Bei den alten Germanen werden sie alle so ausgesehen haben, gewaltige Brüste, die dann im Alterungsprozeß zu hängen beginnen, sich in die Länge ziehen, von Gebären zu Gebären immer länger und länger.

    Bei Carla war alles anders. Carla paßte wie angegossen in den Schalensitz ihres Treckers. Da stand nichts über. Infolge ihrer Magerkeit trat es auch nicht ein, daß sie aufkreischte im Augenblick extremer Begattungsbelastungen. Das war dann mehr so:«Oh-oh-ah-ah! Ach…!»Da wurde nicht gekreischt, schon eher gestöhnt, ein Ach und Weh wie in höchster Not, immer kurz vorm Abschrammen, und das linke Auge zugekniffen.

    Matthias zitterte davor, daß Anita jetzt vielleicht auf die Idee käme, sich zu ihm hinaufzuschleichen, ob’s ihm gutgeht, und ob er immer all die Blumen kriegt, die sie für ihn pflückt? Stengel für Stengel? Der Schweißgeruch, der von ihr ausging, hatte mit der Fettleibigkeit zu tun. Carla war niemals schwitzig, die roch höchstens mal nach Zwiebeln, auch das passend zum Mageren ihrer Konstitution.
    Und das schwere schwarze Haar, die sogenannten«Flechten», wo sah man schon mal solche Flechten? Matthias konnte sich nicht erinnern an ein solches Indianerhaar, das hatte er noch nie zuvor gesehen, geschweige denn in der Hand gehalten und durch die Finger gleiten lassen…

    Anitas Blondheit war an sich ganz hübsch…, aber das Haar stand ab nach allen Seiten, eine Folge billigen Haarwaschmittels: Wie soll man mit einem Menschen still und kontemplativ beieinanderliegen, dem die Haare abstehen? Mit Carla konnte er das, Hand in Hand, sie den Kopf auf seiner Schulter, da gingen die Viertelstunden hin, tick-tack, ohne

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