Heile Welt
lag auf dem Sitz. – Das Auto vor der Tür? Also mußte sie zu Hause sein. Aber die Tür wurde nicht geöffnet, auch nicht nach mehrmaligem Klingeln und Klopfen. Matthias spannte den Regenschirm auf und überquerte den Schulhof, einen trostlosen, windigen Koksschlackenplatz mit angerostetem Klettergerät in Form eines Elefanten. Auch die Gartenpforte war verschlossen. Ein unbebauter Garten mit Queckenbüscheln und ausgeschossenen Stauden, abgeknickten Dahlien hier und da.
Matthias stellte sich auf die Zehenspitzen, den Regenschirm über sich, und sah durchs Fenster in die dunkle Küche hinein. Er wollte gerade gehen, da kam sie angestiefelt. Sie hatte sich Bewegung verschaffen wollen, war im Birkenwäldchen umhergelaufen, ums Kriegerdenkmal herum, für jeden Gefallenen einen Wacholder, und dann am Fluß entlang.
Matthias wurde in die kahle Küche gebeten, der blanke Resopaltisch in der Mitte, die Handtücher am Haken, eins neben dem anderen. Und der Wasserhahn in der Ecke absolut blank geputzt. Zwei Kessel auf dem kalten Herd.
Erst die Schuhe abputzen und dann hinsetzen. Die Sitzfläche des Küchenstuhls wurde abgewischt, und dann konnte er es sich bequem machen.
Elfriede Wehrschild war Bauerstochter. Bei ihren Eltern im Norderdeich hatte sie schon so manchen Stall ausgemistet, und nun Lehrerin geworden, oder doch auf dem besten Wege dahin. Dann nämlich, wenn die Visitationen positiv ausfallen und die schriftliche Arbeit und die mündliche Prüfung.
Sie sagte, daß sie sich über den Besuch freut, und schön, daß er mal gekommen ist, das wär’ ja auch langsam Zeit geworden, daß er sich mal sehen läßt, entnahm dem Poggenpohl-Küchenschrank eine Untertasse mit fünf Keksen, tat noch einen dazu und stellte sie auf den blanken Tisch. Kaffee habe sie schon getrunken, sagte sie. Und dann saßen sie einander gegenüber und sahen zur Seite. Es war kalt, der Zugwind vom Fenster her war deutlich zu spüren. Aber jetzt extra den Herd anheizen, das lohnte sich nicht. Matthias behielt also die Jacke an, er wurde auch nicht aufgefordert, sie abzulegen. Zwischen ihnen hing der Fliegenfänger herab, aus der grünen Papphülse herausgedreht.
Die Kollegin hatte glattes, herunterhängendes Haar, das wohl ziemlich selten gewaschen wurde, ein breites Gesicht mit spitzer Nase, deren Löcher rot ausgezupft waren.
«Wehrschild?»dachte Matthias.«Wenn einem Amazonen solcher Gestalt begegnen, dann würde man mit ihnen nicht so gerne was zu tun kriegen.»
Sie saß da, ziemlich breitgesäßig, Ellbogen auf dem Tisch. Wenn sie wenigstens«Gisela»geheißen hätte… Jetzt eben hatte sie vorgehabt, Hefte zu korrigieren, das wollte sie jetzt eigentlich tun, das sprach sie zwar nicht aus, aber es war offensichtlich, daß sie das jetzt lieber getan hätte, als Konversation zu machen mit einem Kollegen, der offenbar aus purer Langeweile nach Hamersiek gekommen war. Die Hefte lagen auf dem Küchenschrank, ordentlich auf Kante. Halt! Ein Löschblatt guckt heraus, es lugte aberwitzig hervor, obwohl es tausendmal geheißen hat: Ein ordentlicher Kerl hat auch ein ordentliches Löschblatt; das Dings eben noch herausziehen, glattstreichen und wieder ins Heft legen – Äch, da hat der Kerl doch tatsächlich seinen Füller dran abgewischt, wie sieht das denn aus! – Nun den Stapel aufstoßen und wieder hinlegen, auf Kante. So!
Da das hier nun doch wohl noch etwas dauern würde – Matthias aß eines der mit glasierter Marmelade betupften Kekschen -, holte sie aus ihrem Zimmer ein Blatt Papier. Die Zeit ausnutzen… Sie legte ihre kleine fette Hand darauf – die Fingernägel mit den Kalkflecken aufgebogen – und fuhr mit dem Kuli drum herum. Dann nahm sie ein zweites Blatt Papier und umzeichnete darauf ebenfalls die Hand, jeden Finger einzeln, den kleinen etwas abgespreizt, den Daumen auch. So ging das Blatt um Blatt, nur unterbrochen wurde diese Tätigkeit von der Katze, die aufs Fensterbrett gesprungen kam und miaute. Elfriede Wehrschild öffnete das Fenster nach außen und schob die Katze damit weg. Und Matthias sah ihr dabei zu.
Fünfundzwanzig Blatt mit je einem Handumriß mußte sie herstellen, für die Religionsstunde am Montag, daran sollte erörtert werden, daß dies eine Hand ist, in die man erstens etwas hineinlegen kann und auch soll, ein Goldstück vielleicht oder ein Stückchen Brot, eine Menschenhand, mittels derer man auch etwas austeilen kann. Aus der nehmenden wird dann eine gebende Hand, eine gabenbittende Hand.
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