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Heile Welt

Heile Welt

Titel: Heile Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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doch?

    Nun zog die Kollegin die Feuchtigkeit hoch, die sich in ihrer Nase angesammelt hatte, nahm ein zerknülltes Tempotaschentuch und wischte die wunden Nasenlöcher. Dann wurde die Küchenlampe angeknipst, eine nackte Glühbirne in einem grünen Glasperlenvolant, das Licht stach ihm hell von oben in die Augen, und mit einem Lappen wurde ein Fleck vom Herd weggewischt, und dann auch gleich der leere Plätzchenteller, den ebenfalls abwischen und in den Küchenschrank zurückstellen. Eben mal entschuldigen, sie muß aufs Klo, und man hörte das von nebenan, dies Reißen des Klopapiers an der Blechhalterung…, und das alles war nicht sehr erbaulich.
    «Ich meine, wenn man das weiß, daß so was zu hören ist, dann macht man das doch behutsamer?»dachte Matthias. – In seiner Wohnung waren die Wände so dick, daß nichts nach außen drang. Da hätte man sonstwas machen können auf dem Klo.

    Auf dem Schulhof wurde dann ein Abschiedsgestehe von zwanzig Minuten veranstaltet, bei dem sich auch nichts weiter ereignete. Während Matthias davon redete, was er für einen Spaß daran hat, Lehrer zu sei, aber daß er auch immer wieder was falsch macht, zum Beispiel, was soll man tun, wenn man Jungen beim Rauchen erwischt?, begrüßte Elfriede Wehrschild die Katze, die herangeschnürt kam, mit tierfreundlichen Gesten und nahm sie mit hinein. Sie reichte Matthias die schlaffe Hand und schloß die Haustür zu, ritsch-ratsch, dreimal umdrehen den Schlüssel, daß der Kerl nicht womöglich noch mal zurückkommt, strich sich ein Schmalzbrot und zog sich in die Stube zurück. Knipste das Licht im Aquarium an – endlich allein! – und legte sich auf das ungemachte Bett. Hoffentlich hat der Nachbar nicht gesehen, daß hier männlicher Besuch eingelassen wurde. Mehrmals hat er schon an der Tür gerüttelt, nachts, wenn es über ihn kommt. Und sie sich dann nicht gerührt und ins Aquarium geguckt.

    Matthias spannte den Regenschirm auf und stieg aufs Rad, klingelte noch einmal herzhaft und trat in die Pedale, der Anhänger rumpelte. Und während er durch den schrägen Regen fuhr, sagte er Reime vor sich hin. Hände – Wände – sende – Ende.
    Und dann sagte er laut: Ich hab’ mich aufgesatzt und hab’ mich aufgeschnatzt, und er bemerkte nicht, daß im Glumm jemand im Gebüsch stand und ihm nachsah.

    Zu Haus briet er sich in seiner gemütlichen Küche eine fette Bratwurst, und während er sie verspeiste, betrachtete er seine Salonmöbel. Um Gottes willen!, dachte er, hoffentlich kommt sie nicht auf die Idee, den Besuch zu erwidern. Ging auf die Toilette, zog die Spülung und rannte raus, horchte vom Salon aus, ob man das hört. Na ja, ein bißchen schon, das war nicht zu leugnen.

    Die Hände-Sache trug er in seine Sesam-open-you-Kartei ein, für alle Fälle, in dreißig Jahren Dorfschulmeisterzeit könnte es schon sein, daß man dergleichen braucht. Aber er würde diese Angelegenheit jetzt nicht übernehmen, und vor allem nicht so!, das hatte er nicht nötig, das war eine«Unterrichtseinheit», die nicht in sein System paßte, das würde er außerdem viel besser machen, souveräner: die Hand, die aus dem Grabe erwächst, zum Beispiel, oder eine Kalbshaxe vom Schlachter besorgen und mit der Hand des Menschen vergleichen… für Visitationsstunden lagen schon drei Meisterpartituren in seiner Schublade, für alle Fälle. Das mußte erst mal reichen. Der Schulrat würde jederzeit kommen können, er war gerüstet! Er würde nach vorgefertigtem System verfahren, wenn’s ernst wird.

    Matthias nahm sich seine Visitationsstunden vor und fummelte ein wenig daran herum: hier noch was wegstreichen, dort etwas hinzusetzen, Eleganzen, Härten, Witze einbauen.
    «Kontrolle der Hausaufgaben»nicht vergessen, das war ihm als eine Spezialität des Schulmannes bereits verraten worden, auf so was ritt der herum. Und:«Standort des Lehrers»eintragen in die Vorbereitung, mit Rot: Ob man am Fenster steht, wenn Gedichte repetiert werden, oder sich neben der Tafel aufhält, wenn jemand dran rechnet, um ihm notfalls beispringen zu können, oder im Rücken der Kinder stehen, wenn vorne Dias gezeigt werden vom Hamburger Hafen, Standorteinnahme aus triftigem Grunde also.«Wenn die Kinder nach vorne gucken sollen, steht man am besten in ihrem Rücken.»

    In der Nacht kam Carla heraufgeschlichen, mit regennasser Stirn, sie wollte Matthias von ihrem Landwirtschaftsfreund erzählen, daß er ohne«ihr»ins Kino gefahren sei. – Bis jetzt hatte noch

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