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Heile Welt

Heile Welt

Titel: Heile Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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könne. Den Rahm abzuschöpfen!
    Letzten Endes sammle er das bäuerliche Haushaltsgerät, um es vor der Vernichtung zu retten, und nicht aus irgendeiner Marotte heraus! Die schmissen doch alles fort oder ins Feuer oder ins Moor! Der Pastor sei ihm anfänglich auch in die Quere gekommen, aber mit dem habe ein Abkommen getroffen werden können, der kümmere sich mehr um bäuerliche Wohnkultur, Petroleumlampen und so weiter, und sein Revier sei eben bäuerliches Gerät – und nun er, Matthias, quer durch die Landschaft? Also ebenfalls Haspeln und Kohleplätteisen, wildere also in seinem Revier? Und womöglich auch in den Revieren des Pastors?
    Sein Lebtag habe er Unglück gehabt, immer eines nach dem anderen, und nun das!, rief er und fletschte die Zähne. Müllermann-Ohfe sei auch schon irritiert!
    Etwas Hinterhältiges gehe von Matthias aus, das müsse er ganz offen sagen.

    Matthias riß sich zusammen und sagte: Was? Er solle sich mal umsehen, ob hier irgendwas Plätteisenähnliches herumsteht. Spinnräder, Haspeln und spezielle Mistgabeln interessierten ihn nicht, das heißt, sie interessierten ihn schon, aber eher aus Neugier heraus! Und er öffnete die Zimmertür nach nebenan und ließ den Kollegen in sein Jugendstilzimmer hineinschauen, damit er sich überzeugen kann, keine Handmühle zum Zerkleinern von Getreide, kein Hanfstriegel, nichts dergleichen! Und in den Keller hinunter führte er den immer noch Erregten, aus dem ihnen übelster Gestank entgegenschlug. Die Kammer mit den Kegelkugeln öffnete er nicht.

    Nein, das mußte Kollege Klein einsehen, in diesem Haus befand sich kein bäuerliches Gerät, keine Pflugschar mit Holzrädern, keine geflochtene Peitsche mit geflochtenem Stil. Im übrigen auch keinerlei Petroleumlampen…
    Klein wurde ruhiger, sah sich das Sofa mit Umbau an und die grünen Sesselchen und fragte, wo er denn die Plünnen herhabe, diese wunderlichen Möbel. Ob das noch von drüben stamme, von seinen Großeltern oder wie? Das sei ja vorsintflutlich! Er habe ein ganz ähnliches Schränkchen mal zerhackt, Matthias könnte sich gar nicht vorstellen, wie gut das brennt! Der Leim und der Lack.
    Er trank den Schnaps; so was sei doch absoluter Schrott. Handwerklich gut gemacht, aber abgeschmackt irgendwie. Er öffnete die Tür der Standuhr, in der das Pendel gleichmütig schlug. Handwerklich ausgezeichnet gearbeitet, das müsse er zugestehen, aber irgendwie kitschig, oder?

    Matthias zog den Koffer der Witwe Hulda Schröder aus Ostereistedt hervor und öffnete ihn. Er wollte seinem Besucher vorführen, aus welchem Geist heraus diese Möbel angeschafft und bewohnt worden waren, eine andere Zeit eben, aber doch auch vertraut noch? – Er griff sich ein Fotoalbum, das zuoberst im Koffer lag, und das blätterte er nun auf, und er sah zum erstenmal in das Privatleben einer erloschenen Familie hinein, im Hintergrund die Möbel des Salons, die nun in seiner Wohnung standen, Sofa mit Umbau, Standuhr, Schreibtisch… Lehrer Klein griff ebenfalls in den Koffer hinein; der holte ein Schächtelchen heraus, eine Ostmedaille lag darin, der sogenannte«Gefrierfleischorden», und ein Verwundetenabzeichen, von der Sorte, wie Hitler eines getragen hatte, und dann blätterte er Feldpostbriefe auf, mit einer Ansichtspostkarte aus Paris beginnend und mit einem zurückgeschickten Brief endend:«Der Empfänger ist gefallen für Großdeutschland… »
    Ganz unten lag ein kleines Porträt, Aquarell, weiß gerahmt, einen jungen Mann darstellend, das packten sie beide zugleich an. Matthias legte es auf den Tisch, das würde sich gut machen über dem Schreibtisch.

    Nein, auch bei dem Kofferinhalt handelte es sich nicht um Hausgerät, das war zu erkennen, auch nicht um bäuerliche Wohnkultur. Dies war ein papiernes Denkmal städtischer Lebensart, Bremischer Bürgerkultur!
    Aber, halt mal!, sagte Matthias, da falle ihm was ein… Er nahm die Stallschlüssel vom Brett und die Taschenlampe und bedeutete dem Mann, mal ganz still zu sein. Er solle mal mitkommen, nach drüben, in den Stall. Und dann gingen sie quasi auf Zehenspitzen nach drüben, und Matthias zeigte seinem Kollegen das aus Stroh geflochtene Getreidemaß, das dort, wahrscheinlich seit Vorkriegszeiten, in der Ecke stand.
    Lehrer Klein war baff! Die Truhen daneben interessierten ihn nicht, die gab’s alle Tage, aber hinter so einem Scheffelmaß war er schon lange her, im Freilichtmuseum Quakenbrück hatte er so was mal gesehen, aber nicht so schön wie dieses

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