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Heile Welt

Heile Welt

Titel: Heile Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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niemand etwas von den nächtlichen Besuchen gemerkt. Irgendwann würde man draufkommen, damit war zu rechnen.
    Matthias hörte sich alles an und zeigte ihr dann seine schöne Kugelbahn, die er bereits um einige Schleifen erweitert hatte. Sie ließ die Kugeln herunterrollen, aber dann fragte sie:«Laufen die auch mal wieder rauf?»- Eben nicht. Das war ja das Problem.

    Kalten Braten hatte sie diesmal nicht mitgebracht. Sie legte sich ohne weiteres aufs Bett, und er legte sich zu ihr, beim Radioanstellen mußte er über sie rübergreifen, das ergab den Übergang, und sie wärmte sich an ihm, und er rieb sich an ihrem knochigen Leib, verknotete sich mit den Beinen in ihren Beinen und ließ seine Hände ihren jeweils eigenen Instinkten folgen. Und dann wurde auch schon das linke Auge zugekniffen.
    Die ganze Zeit mußte er an einen Reißbrettstift denken, den er vergeblich mit den Fingernägeln aus dem Holz zu polken sucht. Hinein geht’s, aber nicht wieder heraus.

36

    E s war schon dunkel, als es ans Fenster klopfte. Freedes Hund bellte, und Bauer Fitschen nebenan machte Licht auf dem Hof. Matthias saß in seinem Altländerstuhl und zog die Blechlandschaft auf, um den Blechzug den Blechberg hinauffahren zu lassen, damit er von oben durch den Tunnel hinunterrollen könnte. Und die Seilbahn oben drüber, immer hin und her. Oft würde man den Apparat nicht mehr in Gang setzen können, es knackte schon, wenn man ihn aufzog.
    Den Nachmittag hatte er damit zugebracht, eine Marionette zu schnitzen, ein Dings mit langen Gliedern, Fridolin. Er stellte sich vor, was die Kinder für einen Spaß hätten, wenn er ihnen etwas vorspielte mit dieser Figur. Ihm lief die Spucke im Mund zusammen, wenn er daran dachte: Der dünne Fridolin und Bommel, ein Kerl, der nur aus einem Kopf besteht. Eine Bühne wäre schnell zu improvisieren aus fahnenartigem Gerät, mit roter und grüner Taschenlampenbeleuchtung. Fridolin und Bommel, sonderbare Gespräche führend über irgendwelche alltäglichen Vorkommnisse, der eine pfiffig und der andere dumpf… So dachte er sich das, als er da auf dem Schulmeisterstuhl saß, den Lebensbaum mit den roten Früchten im Rücken, als kräftig ans Fenster geklopft wurde.
    Matthias erschrak, er bekam Gänsehaut am ganzen Körper, solches Klopfen hatte er schon einmal erlebt, drei Männer hatten vor der Tür gestanden, und er hatte ihnen folgen müssen. – Das war nun nicht der Fall, vor dem Fenster stand, fahl beleuchtet, Kollege Klein aus Sassenholz, und der redete, man konnte es sehen, den kahlen Kopf entblößt, redete wütend, und als Matthias endlich das Fenster aufgeklinkt hatte, fragte der Mann:«Sagen Sie mal, wollen Sie mir das Wasser abgraben? Sind Sie deshalb in Wense eingerückt?»Er könne dafür sorgen, daß er hier sehr schnell wieder verschwindet, daran lasse sich absolut schnell drehen! Er habe einen feinen Draht nach ganz oben!
    Matthias stand im Fenster, so halb über dem Kollegen, so als wollte er eine Parade abnehmen, und unter ihm der wütende Lehrer Klein als Rumpelstilzchen auf dem von Anita frisch geharkten Beet.

    Matthias wies dem späten Gast den Weg ums Haus herum zur Haustür und ließ den Kollegen, der in Schlesien mit Apfelkartoffeln aufgewachsen war, einigermaßen freundlich ein, und der kam mit Volldampf und wütend, blieb noch mit der Jacke an einem Nagel hängen, kam herein, mit den Fahrradklammern an der Hose, rannte durch die Wohnung bis in die Küche und wieder zurück, die kranke Frau und den geschädigten Sohn als fremden Geruch hinter sich herziehend.
    «Damit kommen Sie nicht durch!»schimpfte er, da sei das letzte Wort noch nicht gesprochen!
    Standen noch weitere Menschen vor der Tür, im Dunkeln, unter den Apfelbäumen? Menschen, die sich diesen Auftritt nicht entgehen lassen wollten? Der Opa nebenan saß gewiß am Fenster und verfolgte das Geschehen.

    Matthias folgte dem Mann, und allmählich wurde er ruhiger. Die Gesetze der Gastfreundschaft traten in Kraft, eine Flasche Schnaps wurde auf den Tisch gestellt, Gläser, und ein Stuhl herangerückt.
    Ja. Er habe das sofort bemerkt, am ersten Tag schon, sagte Klein, daß Matthias mit dem Pastor gemeinsame Sache machen wolle, gegen ihn.
    «Was is’n diss?»schob die Marionette zur Seite, trat noch so halb auf die Blechlandschaft drauf.
    Gegen ihn gerichtet sei es, die Bauern abzufischen, all das abzukassieren, was er in seiner Sammlung, die nun bereits auf einhundertdreiunddreißig Positionen sich belaufe, gebrauchen

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