Heile Welt
aus Bochum, wegen der Bilder, wo leider nichts zu machen war, weil die Tante neuerdings aggressiver wurde, aber das kriegen wir schon noch hin? Das wär’ ja noch schöner?
Immerhin war von Kallroy doch in Bochum geboren und hatte in den Zwanzigern unterernährte Arbeiterkinder aufs Land geholt, zur Erholung, das war noch nicht in Vergessenheit geraten.
«Fassen Sie mal mit an!»sagte Ellinor zu Matthias und trug die Terrine in die Küche. Matthias folgte ihr mit den abgegessenen Tellern. Im Aschenbecher die Kippen, manche mit goldenem Mundstück, die meisten jedoch ohne.
Auch Wein war getrunken worden, die Gläser fettig und noch halb gefüllt. Wahrscheinlich Leute aus Bochum. Für die Bremer hätte Ellinor nicht solche Umstände gemacht. Waren sie wegen einer Ausstellung gekommen oder um ein repräsentatives Bild für den Sitzungssaal des Rathauses zu erwerben, oder weil in der Ostzone, in der Offizin Haag Drugulin zu Leipzig, eine Monographie über Ernst-Werner von Kallroy erschienen war, dem aufrechten Antifaschisten? – Das konnten westdeutsche Stellen nicht auf sich sitzen lassen, da mußte man gegenhalten. Also nun mal klären, nun mal feststellen, woran man eigentlich war? Kallroy: Immerhin in Bochum geboren, und dann die Sache mit den Arbeiterkindern.
In der Küche wurde Wasser heiß gemacht, und dann wusch Ellinor mit roten Fingern das Geschirr ab, und Matthias griff sich ein Handtuch und trocknete die Gabeln und Löffel, mit denen andere gegessen hatten. Kunstkenner mit geschmalzten Sprechorganen, der intellektuellsten Kapriolen fähig, wenn es galt, Künstler herabzusetzen oder Glückskinder der Muse aufzuheben in höchste Höhen. Ein Frühwerk des Künstlers hatte die Stadt besessen,«Herbstmorgen über Bochum», das hatte in der Rathaushalle gehangen, großflächig und bunt, es war von Nazis auf den Hof geworfen worden.
Die schwarz-weiß gekachelte Küche war geräumig, ein mächtiger Herd und ein großer Tisch: Hier hatte der Maler damals gesessen, als man ihn abholte, er hatte sich noch ein letztes Spiegelei braten dürfen, und dann hatte der Landpolizist gesagt:«Ziehen Sie sich was Warmes an, Herr Professor.»Und das war dann der Schluß gewesen.
In den zwanziger Jahren hatten in der Küche Arbeiterkinder ihren Brei gelöffelt, ein Tuch um den Hals geknüpft, Kinder von Kohlekumpels. Vor dem Essen oder hinterher hatten sie die«Internationale»gesungen. In der Eische gebadet, auf der Wiese getanzt. Von Kallroy war als ein großer Vater von einem zum andern gegangen und hatte ihnen übers Haar gestrichen. Neues Schuhzeug hatte er gestiftet und Hemden und Hosen, obwohl es bei ihm auch nicht gerade dicke zuging. Die Eltern hatten Dankbarkeitstränen in den Augen gehabt und ihm die Hand gedrückt, wenn sie ihre Kinder wieder abholten, ein ums andere Mal.
Ellinor war als kleines Mädchen zwischen den Kindern herumgelaufen, als Künstlertochter unter den Karl-Liebknecht-Kindern, die Jungen mit Taschenmesser in der Tasche. Mit einem schlaksigen Mädchen war sie gemeinsam aufs Klo gegangen, an deren pickligen Hintern erinnerte sie sich noch. Sie erzählte, wie freundlich sich ihr Vater unter dem jungen Volk bewegt hatte, in seiner einfachen Leinenhose, und das Hemd auf russische Art mit einem Band zugebunden, statt mit Knöpfen zugeknöpft. Sandalen. Er hatte die Kinder auf die Schulter genommen und ihnen Pflaster aufs Knie geklebt. Immer ein offenes Ohr für die armen Geschöpfe, und sie sah ihn noch, wie er die Klampfe vom Haken nahm, und sie hörte ihn mit seiner wunderbaren Stimme Lieder singen, abends am Lagerfeuer:
Brüder in Zechen und Gruben,
Männer, ihr hinter dem Pflug…
In den Fabriken und Stuben…
Die Kinder, zum Teil mit kahlgeschorenem Kopf, hatten mitgesungen, hell und zukunftsfroh. Eine Schalmei hatte er sogar gekauft, so ein Streckenarbeiterdings, die war aber nicht benutzt worden wegen des durchdringenden Tones.
Oft sei das Geld knapp gewesen, erzählte sie, hinten und vorn nicht gereicht, wochenlang zehn, zwanzig Kinder durchfuttern? Die Mutter sei damals schon krank gewesen, und die Tante habe nicht wirtschaften können und sei auch oft nach Bad Schreiberhau gefahren, mitten im dicksten Trubel zur Kur, statt für Ordnung zu sorgen, wo doch Holland in Not war! Noch in den letzten Kriegsmonaten einfach alles stehen und liegen lassen und nach Karlsbad gefahren…, und nach dem Krieg ausgeplündert und völlig erledigt wieder in Klein-Wense gelandet. Da war das
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