Heile Welt
muß… Sonst kommen die womöglich nicht, wenn’s mal brennt, stehen hinter der Gardine und amüsieren sich, wie der da mit’m Eimer hin und her rennt… Immer schön grüßen und sich Zeit nehmen zum Schnacken, am besten vom Wetter anfangen, da kann man nichts verkehrt machen.
Ob es hier immer so weht?, fragte Matthias.
Und da bekam er zur Antwort, daß das hier eine windige Ecke sei,«mannichmoal fleegen di de Dachteegel ümmere Oahren!»- Der Nachbar nebenan, der da aus’m Fenster guckt, sei ein hinterhältigen Minschen! Aber er wolle nichts gesagt haben… Die Stauden im Garten, ob Matthias sich wohl denken könne, wer die rausgerissen hat?
Es folgte die Beschreibung des großen Brandes 1945, als die SS jedes Haus verteidigte, da sei seine Scheune abgebrannt; wär’ der Wind von achtern gekommen, wär’ der ganze Hof hinüber gewesen, und der Nachbar nicht mal mitgeholfen, die Wagen rauszuziehen!
Dann hätten Engländer in der Schule gehaust…. So ging das weiter und weiter, und weil der Bauer sich nicht setzte, mußte sich Matthias das alles im Stehen anhören, und er wurde immer jünger, kam sich wie ein Kind vor, als die Mutter ihm die Haarsträhne mit einer Haarklammer festgesteckt hatte. Er fragte sich, wie lange das hier jetzt wohl noch dauern würde und ob er jeden Abend sich das anhören muß. – Da nahte die Rettung. Die schwarzhaarige Tochter kam die Holztreppe herauf, von dem Spitz begleitet, die«leddige»Tochter, ihren Vater zu holen. Sie trat ins Zimmer, Gummistiefel an und eine alte Hose. Die schwarzen Zöpfe glänzten, unten waren sie mit Gummibändern zusammengehalten. Carla hieß sie, und sie mochte wohl so neunzehn, zwanzig sein. Vielleicht auch einundzwanzig. Den rechten Zeigefinger hatte sie mit Leukoplast umwickelt, das mußte wohl mal erneuert werden: Eine junge Frau, wie er sie in der Stadt nie gesehen…
Der kleine Hund raste bellend im Zimmer umher, er hüpfte am Tisch hoch, wo das Wurstbrot lag, er kriegte einen Zipfel.
Das Mädchen Carla sah sich kurz im Zimmer um und sagte:«Komm, Vadder!»Und der Vater ging auch ohne weiteres mit.
Matthias trat hinaus auf die Treppe und sah den beiden nach. Der Wind zerwühlte die Baumkronen und rüttelte an den Dachziegeln. Die junge Frau schubste ihren Vater aus dem Garten hinaus. Sie wandte sich um und lächelte.
Im Ofen war noch Glut, Matthias legte Holz auf und zwei Briketts und kniete sich davor und wartete, bis das Feuer gerettet war. Dann legte er sich auf das Bett. Der kleine Tisch mit den Blumen, der Stuhl, der Koffer, der geöffnet auf dem Fußboden lag; sein Sesam-open-you. Und auf dem Fensterbrett das Augenmodell. Matthias sah ins unverputzte Dach hinein, auf die Unterseite der Ziegel, die mit Zement verstrichen waren. Zwischen zwei Ziegeln hing etwas Heu heraus, da hatte der Sperling sein Nest. Im Winter würde man hier oben nicht wohnen können…
Matthias zog die Decken unters Kinn. Die Kegelkugeln auf dem Hof des Gasthauses: Er stellte sich vor, wie jemand sich mühte, mit einer Axt eine solche Kugel zu spalten. Er wird es nicht schaffen, dachte er, die Axt wird abgleiten und ihm ins Bein fahren… Und er überlegte, wie er selbst die Kugel fassen und auf dem Hauklotz halten würde, und wie die Axt immer wieder abglitte mit der klingenden Schneide und wie auf der federnden Kugel nur eine winzige Scharte zurückbleibt.
6
U m sieben Uhr kratzte es an der Tür. Matthias, der bereits wach in seinem Bett lag und dem lieben Gott in das Sonnenlicht hinein pries, daß er hier sein eigener Herr ist, eine Art Hausbesitzer sogar – mußte aufstehen, denn das Kratzen wiederholte sich. Er nahm die Bettdecke wie eine verrutschte Toga um und öffnete die Tür. Herein sprang der Spitz des Bauern Freede und rannte laut bellend umher, schnüffelte in alle Ecken hinein, sprang auf das Bett und beutelte das Laken. Dann umklammerte er das linke Bein von Matthias und machte sich muskulös daran zu schaffen. Matthias schüttelte das Tier ab und warf ihm eine Scheibe Wurst hin. Der Spitz schnappte sie und lief zur Tür, quetschte sich durch die Spalte und sprang laut bellend die Treppe wieder hinunter. Matthias hatte offenbar ein Ritual nachvollzogen, das man dem Hund beigebracht hatte.«Morgens früh gibt es beim Schulmeister eine Scheibe Wurst.»Er fühlte sich geschmeichelt: Daß er das herausgekriegt hatte durch bloßes Einfühlungsvermögen. Schmiegsam nachgeben den Traditionen, und das Eigene elastisch dagegensetzen. Dem Hund
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