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Heile Welt

Heile Welt

Titel: Heile Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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bei«achhunnert Mark». Das Geld könne ohne weiteres abgerufen werden.«Wenn’s mal’n bißchen mehr ist, schad’t auch nichts.»
    Schmauch habe jeden Herbst Kastanien und Eicheln sammeln lassen und an den Jäger verkauft für Extra-Anschaffungen, da wär’ ganz hübsch was zusammengekommen.

    «Sie sind noch nicht verheiratet?»fragte der Bürgermeister.«Wie alt? Dreißig? Und noch nicht verheiratet? Na, da findet sich bestimmt noch was.»Obwohl – hier auf’m Dorf sei das nicht so einfach. Aber, auf jeden Pott passe schließlich ein Deckel,«und umgekehrt».

    Nun von Erziehung sprechen: Hart, aber gerecht!, würde er sagen. E-te-ze… Tracht Prügel hat noch niemandem geschadet, also, wenn sich’s als notwendig erweise, mal wieder Ordnung herzustellen und Respekt – von der Gemeinde her habe er dann keine Schwierigkeiten zu erwarten.

    Hart, aber gerecht müsse es zugehen in der Schule, und ordentlich rechnen lernen. – Er führte die Rechenmethode vor, die zu seiner Zeit Mode gewesen war, nie wieder davon gehört: Fünfundsiebzig, das sei viermal zwanzig weniger fünf… Lehrer Besendiek damals noch! Wenn er Schweine verkaufe, dann rechne er heute noch nach dieser Methode. Schweine kosteten jetzt eine Mark und fünfzig Lebendgewicht, mit vollem Magen. Das sei zweimal achtzig weniger zehn.«Räken!»das sei wichtig.«All datt annere is doch blot Speelkram.»
    Siehe da, das Malheur mit Elfriede, die mißglückte Kopfrechenaktion, hatte schon die Runde gemacht. Diese Scharte müßte irgendwie auszuwetzen sein, das war vordringlich.
    Es war klar, daß der Bürgermeister für freischaffendes Lernen nicht zu gewinnen sein würde. Matthias beschloß, sich ab sofort mit Regeldetri zu befassen und das Große Einmaleins noch mal überzulernen. Und Prozentrechnen: durch hundert mal sechs und so weiter. Gleich heute abend damit anfangen.

    Daß das Schulland weggegeben war, freute Matthias, was hätte er damit anfangen sollen? Kartoffeln anbauen? Für den Stall würde sich schon noch eine Verwendung finden. Im übrigen wallte Freude in ihm auf, daß er bei«eene Mark un föftig», daß die Schweine eins fünfzig kosteten, sofort auf den Pfundpreis geschlossen hatte und nicht etwa gefragt: Was? Ein ganzes Schwein für eine Mark und fünfzig?, was ihm ähnlich gesehen hätte.
    Eine solche Dummheit hätte seine Karriere zerstört. Das hätte landauf, landab die Runde gemacht.

    Nun fragte Matthias, warum die Schuluhr nicht geht, das goldene Zifferblatt sei doch wundervoll, die Glocke – es wär’ doch herrlich, wenn die Glocke wieder in Gang gebracht werden würde, mittags könnte sie den Bauern auf dem Felde anzeigen, wann das Essen auf dem Tisch steht.«Der Engel des Herrn»werde die Mittagsglocke genannt, alte Sitten wieder einführen, noch ist’s Zeit… Dieses Thema schien dem Bürgermeister nicht zu behagen. Mit de Klock hätte er schon zuviel Maleschen gehabt. In den Zwanzigern gekauft das Dings und nie funktioniert.

    Auch als sich Matthias nach dem alten Bauernhaus erkundigte, das da jetzt abgerissen worden war zugunsten des Landhandelneubaus, ob das nicht schade um das prachtvolle Fachwerkhaus sei? Ein Gebäude aus dem 17. Jahrhundert oder älter. Ob man einem Dorf wie Klein-Wense damit nicht die Seele aus dem Leib reiße?, fragte er, auch damit kam er schief an.
    Der Bürgermeister wurde unwirsch, sprach von Landhandel, wie der sonst wohl«übere Bühne»gehen solle, und über die Gewerbesteuer, ob er schon mal daran gedacht hätte, woher das Geld für Wegebau e-te-ze kommen sollte? Schließlich werde auch die Schule davon bezahlt. Im übrigen müsse das alte Zeug weg…
    Ein Bürgermeister ohne Witz,
ein Schweinespieß ohne Spitz’,
ein Ofen ohne Hitz’,
die drei sind nicht viel nütz’.
    Matthias konnte nicht wissen, daß gerade ein Beschluß anstand, die Platanenallee abzuholzen, und mit seinem eigenen Bauernhaus hatte der Bürgermeister auch noch allerhand vor.

    Gott sei Dank kam in diesem Moment die Bürgermeistersfrau herein, eine freundliche Landfrau mit weiß durchzogenen rötlichen Locken. Sie schloß die Schiebetür zur Kalten Pracht und stellte eine Flasche Sanddornsaft auf den Tisch, Gläser mit Italienurlaub drauf. Oder ob’s ein Bier sein soll? Untersetzer. – Ein kleines blondes Mädchen brachte sie mit, Helga, die Enkeltochter, einen verfrühten Maikäfer auf dem Finger. Sie wurde an ihn rangeschoben, machte einen Knicks und sagte:«Goden Dach!»
    Als Matthias dieses Kind

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