Heile Welt
die Bürgermeistersfrau den Tisch, und Matthias wurde aufgefordert, ein bißchen mitzuessen. Es gab eine Milchsuppe mit Graupen, selbstgebackenes Brot und ausgezeichnete Wurst. Eiserne Bestecke mit Holzgriff. Und die kleine Helga faßte den Löffel mit der ganzen Hand. Vor dem Krieg waren die jungen Lehrer mittags von einem Hof zum andern gereicht worden, hatten da mitessen dürfen, das gehörte zur Tradition. Das wär’ ihr Schaden nicht gewesen, denn die Bauern hätten sich nichts nachsagen lassen wollen, und der Lehrer habe bei der Gelegenheit alles mitgekriegt, was so geredet wird im Dorf. Da dann auch meist eine Frau aufgegabelt irgendwie.
Im Herbst dann ja auch noch Deputat, Holz und Torf. An sich ganz auskömmlich. Die Dienstwohnung, und dann auch eines Tages Pension? Daß ein Lehrer unkündbar sei, kam der Bürgermeistersfrau ganz außerordentlich vor. -«Ich ja noch nicht», sagte Matthias,«ich bin ja erst Zett A, zur Anstellung, ich muß ja noch eine Prüfung machen und vorher noch Kurse und Revisionen…»Erst dann würde er Beamter auf Lebenszeit.
Revisionen – Ach Gott, ja… Gleich morgen die Klasse aufräumen und aus dem Sesam-open-you ein paar Musterstunden destillieren, für alle Fälle…
Während sie aßen, betrachtete Matthias das Bild an der Wand. Es sei von Kallroy gemalt, von dem auch die Bilder in der Kirche stammten, sagte Frau Gerke. Die Tochter lebe in dem großen Haus am Fluß, mit ihrer Tante ganz allein, die nicht ganz richtig sei.
Irgendwie ruhelos, die junge Frau. Fahre dauernd nach Bremen oder sonstwohin… Nachts ginge das Licht an, mal oben, mal unten, dann streiche sie durch die Zimmer. Sie lebe im übrigen ziemlich armselig, paar Ziegen und Schafe und einen großen Garten. Obwohl hier (Daumen und Zeigefinger) einiges vorhanden sei. Abgesehen von den Bildern, wovon das ganze Haus vollhänge, auch Land, und zwar direkt an der Eische, da wären schon Masse Interessenten gekommen aus der Stadt, was zu kaufen.
An den alten von Kallroy erinnerten sie sich noch, der sei oft durch die Gegend gestreift, mit breitkrempigem Hut und Staffelei, habe am Fluß gesessen und gemalt, oder auch mal im Sassenholzer Wald oder im Glumm. Masse Bilder habe der gemalt und immer gut verkauft. Und immer freundlich gewesen zu den Kindern, Bonbons in der Jackentasche e-te-ze.
«In den zwanziger Jahren hat er im Sommer Arbeiterkinder bei sich wohnen gehabt, von der Roten Hilfe, die sind dann nackt durch den Garten gelaufen, Männlein und Weiblein durcheinander. »Damit hätten die Nazis dann sofort Schluß gemacht. Bonbons in der Jackentasche – und ab und zu welche verteilen? Keine schlechte Idee, aber lieber nicht. Was zunächst freiwillig geschieht, wird am Ende zur Pflicht?
Irgendwann, in die gemütliche Unterhaltung hinein, sagte der Bürgermeister, daß er zur Sitzung muß.
Matthias zog seinen Ausweis heraus, ob der Bürgermeister bei der Gelegenheit wohl so freundlich sei und ihn verlängere.
Ja, das könne er, sagte der Mann und öffnete die Besteckschublade im Büfettschrank, holte einen Stempel heraus, hauchte ihn an und setzte ihn in den Ausweis. – Und: Übrigens, das Wasser im Keller des Schulhauses, ob man das nicht mal auspumpen könnte, fragte Matthias. Dies vorzubringen war ein Wagestück, aber es ging«übere Bühne». -«Ja, gelegentlich», wurde gesagt.
Auf der Diele schenkte ihm die Frau noch einen halben Laib selbstgebackenes Brot, und dann standen sie auf dem Hof, die neuen Hühner angucken, ach ja: Eier! einen kleinen Korb Eier gab ihm die Frau auch noch mit. Der große Hahn stand auf einem Zaunpfahl, ein Bein hoch, Kopf schief. Der hatte alles unter Kontrolle.
Er solle sich mal die Schwarze Flaage ansehen, mitten in der Heide, und die Wolfskuhle und die Reihersiedlung, früher waren die Vögel jedes Jahr gekommen, dies Jahr leider noch nicht wieder da. Die kleine Helga drehte dem Bernhardiner die Ohren um und setzte sich auf seinen Rücken. Matthias sollte sehen, daß sie sich das traut. Und was sie alles kann…
Auf dem Holzhof standen die Reste einer alten Bauerntruhe zum Zerhacken.
«If. Lucies , 1789», war schwungvoll in das Zierbrett eingeschnitzt, was ein Genitiv war, denn das bedeutete, daß man diese Truhe vor über hundertsiebzig Jahren für die Aussteuer einer Jungfer namens Lucie angefertigt hatte. Nun morsch und brüchig, weil sie bei Kriegsende mit Schinken und Würsten und Leinenballen im Garten vergraben worden war. Unterhalb des Namens waren vier
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