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Heile Welt

Heile Welt

Titel: Heile Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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Herzen angebracht, von denen eines halb abgefallen war.

    Ob er die Truhe nicht verkaufen will?, fragte Matthias, er würde sie abbeizen und dann den Kindern zeigen, was für eine Geschichte das Dorf habe, 1789! Französische Revolution!
    Leider kamen genau in diesem Augenblick zwei Düsenjäger angerast, eine qualmige Schleppe hinter sich herziehend, ziemlich tief, so daß der Bauer ein paar Sekunden Zeit hatte zu überlegen, ob er die Ruine behalten soll oder nicht. Matthias sah das schöne Stück schon entschwinden, und seine Gier verwandelte sich in ärgerliche Trauer, aber als sich die Luftcowboys davongemacht hatten, sagte der Bürgermeister, der sich ja vordem dafür ausgesprochen hatte, daß altes Zeug«weg»müsse, laut und deutlich: Ja, den Koffer könne er haben,«dor speelen doch blot de Müs’ in…», aber der Koffer stamme nicht von hier, den habe seine Oma aus Osterholz geerbt.

    «Besuchen Sie uns mal richtig», sagte die Bürgermeisterin, und Matthias atmete tief ein: nach aufgerösteten Brötchen roch es irgendwie.

    Am nächsten Tag stand die«Kiste»vor seiner Tür. Er zog sie wie einen Sarg über den Flur ins Haus hinein und an der Gartenseite wieder hinaus und stellte sie in den Stall. Die war ihm erst mal sicher. Anita von nebenan fragte, ob sie mal eben schnell rüberkommen soll und mit anfassen? Und Carla, gegenüber, am Zaun, wunderte sich. Was er mit dem Plünnen will, fragte sie.
    Ob er Feuerholz braucht?
    «Hat, hat», dachte Matthias. Dieses alte Stück würde ihm niemand wieder wegnehmen. Und daß auf dem Hühnerhof ein alter Dreifuß stand, hatte er gesehen.

11

    N ach dem Essen – süß-saure Linsensuppe mit geräuchertem Bauchspeck, als Kompott Reineclauden aus dem Glas – kaufte er bei Kaufmann Klapproth einen Fahrradanhänger, mit Katzenaugen hinten dran, und dann fuhr er nach Sassenholz und holte die Kegelkugeln, die dort auf ihn warteten. Zweimal mußte er fahren, beim erstenmal kriegte er sie nicht alle mit. Tag und Nacht würde er Kugeln mit dem neuen Anhänger holen, von überall her, auch wenn es noch so schepperte und schlingerte. Nun bewährte sich die leistungsfähige Gangschaltung seines Fahrrades. Er hatte keine Ahnung, wie er ohne sie zurechtgekommen wäre.

    Zu Hause fand er einen kleinen beigefarbenen Brief auf der Treppe. Der Umschlag war mit braunem Seidenpapier gefüttert, und hintendrauf war in der Art eines Wappens eingeprägt: E. v. K. Auf dem Briefbogen stand links oben noch einmal, E. v. K.
    Dem Brief war zu entnehmen, daß Eleonore von Kallroy sich freuen würde…«Sie am Sonnabend nachmittag um halb fünf Uhr zum Tee bei mir zu sehen. – Mit freundlichen Grüßen, Eleonore von Kallroy»Punkt.
    Die Handschrift wirkte energisch. Vielleicht mit links geschrieben? Beim Namenszug schien die Tinte ausgegangen zu sein, er verblaßte im Nichts.

    Matthias trug den Brief in sein Zimmer hinauf – roch er denn nach Sandelholz? – und legte ihn auf den Tisch, direkt unter das Foto von Lilli. Er glättete mit dem Fingernagel das grob Aufgerissene des Kuverts und las ihn noch einmal.
    «Sieh an», so ungefähr dachte er,«sieh an, was das Leben für mich noch bereithält. – Wenn ich nicht aufs Dorf gegangen wäre, hätte ich das jetzt nicht erlebt.»
    Nicht zu um drei Uhr oder vier, sondern zu um halb fünf Uhr war er geladen. Das setzte Maßstäbe. Five o’clock tea mit kleinem Gebäck.

    Als er draußen die letzten Kugeln ablud, erschien Carla im Garten gegenüber, sie legte die Arme auf den Zaun und fragte über die Straße hinweg, ob er den Brief gekriegt hat. – Mit ihr würde man niemals Tee trinken, weder um drei noch um vier, und schon gar nicht um halb fünf. Aber vielleicht einmal eine Coca-Cola? im Sommer? Beim Schützenfest?
    Ja, er hatte den Brief gekriegt.
    Sie stand am Zaun, und hinter ihr hingen gewaschene Milchkannen, zum Trocknen auf die abgesägten Äste des Apfelbaums gespießt. Sie trug eine Strickjacke, deren Ellbogen gestopft waren. Solche Strickjacken hatte es beim BDM gegeben, trachtenartig, mit silbernen Knöpfen und Schnur zum Zubinden um den Kragen. Die langen Zöpfe erinnerten an Volkstum östlicher Art. Die Ukrainerinnen, wie sie mit den deutschen Soldaten getanzt hatten, im Sommer 1941.«Wir grießen deitsche Armee!»Das Hakenkreuz, aus Birkenästen gebastelt, verkehrt rum, weil sie es nicht besser wußten.

    Matthias ging hinüber. Der Vorgarten war mit umgedrehten Flaschen abgesteckt, da war allerhand am Blühen: vorwiegend

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