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Heile Welt

Heile Welt

Titel: Heile Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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immer Deine Mutter… », stand da zu lesen.

    Einmal wurd’s beim Fußballspiel ruhig, und als er nachsah, in den offenstehenden Klos, ob was vor sich geht?, roch es dort nach Zigaretten: Das war Hinrich, der seinem Vater schon eine gute Stütze war, mit zwei Freunden, die da rauchten. Für Matthias war diese Situation neu, für die Jungen offenbar nicht, Karten spielen, Vogelnester ausnehmen oder rauchen, dafür gab’s welche mit dem Stock, seit alters her. Als sie den Lehrer sahen, setzten sie sich also seufzend in Marsch, gingen in die Klasse und warteten. Hier wurde ein Ritus angedeutet, von dem Matthias nichts wußte. Die älteren Mädchen erschienen draußen am Fenster, und dann nahm er eben den Stock, in Gottes Namen, und zog jedem drei Schläge über das, was im Schulrecht«das Gesäß»genannt wurde. Das erste und das letzte Mal war das, und zwar, weil das hier Usus war. Der kleine Luers sah seine Freundin Gitte bedeutsam an: also doch. Aber wir rauchen ja nicht.
    Alle fanden es in Ordnung, was geschehen war, die Triangel ward gerührt, und die Unterrichtsfuge begann wieder in Tätigkeit zu treten.
    «Wenn ich das unterlassen hätte, hätt’s Schwierigkeiten gegeben», sprach Matthias vor sich hin, als er am Nachmittag seinen Spaziergang machte, und am Abend noch einmal, beim Essen eines Leberwurstbrotes.
    Den Schulrat am besten nicht behelligen mit so was.
    Sich den Gepflogenheiten anschmiegen und ganz vorsichtig gegensteuern, damit lag Matthias richtig. In dieser Richtung war das freischaffende Lernen zu suchen, in je offener Behaustheit, von dem Petersen so oft gesprochen hatte.

    Manchmal geschah Ungewöhnliches: Ein Bulle, der sich losgerissen hatte, lief durchs Dorf, ein Bauer wurde auf seinem Feld vom Blitz getroffen.
    Als es tatsächlich passierte, daß ein Segelflugzeug in einem Gemüsegarten landete, rannten alle Kinder natürlich sofort da hin, obwohl Matthias«Halt! halt!»schrie, und er rannte hinterher. Der Segelflieger rappelte sich auf und sagte zu den Kindern:«… und morgen einen Aufsatz darüber schreiben, was?»
    An das Segelflugzeug im Gemüsegarten würden sich die Kinder ihr Leben lang auch so erinnern. Eher darüber einen Aufsatz schreiben, daß der Mann gesagt hatte:«…und morgen einen Aufsatz darüber schreiben…»- So was lehnte Matthias ab.
    Als der Vater fortging, durch die Gartenpforte, leicht mit dem Kopf schüttelnd, mit einer Volkssturmarmbinde am Jackett, und daß man gedacht hatte, der kommt heute abend wieder, und daß das dann nicht der Fall gewesen war.
    Und als damals 1944 die Stadt bombardiert wurde und die Häuser brannten, als auf dem Tisch in der Veranda ein Bombensplitter lag, war am nächsten Tag ja auch kein Aufsatz geschrieben worden.

    Einmal kam Ellinor auf den Hof gefahren mit ihrem FIAT 500. In einem Pappkarton hatte sie einen toten Igel, von einem Auto breitgefahren, eine ziemlich blutige Angelegenheit. Das wär’ doch sicher interessant, den mal zu sezieren mit den Kindern?, fragte sie. Was alles in so einem kleinen Körper sitzt an weichem Organischem unter der stacheligen Haut? Über dem Eingeweidebrei, von sämtlichen Kindern bedrängt, lud sie Matthias ein, doch recht bald mal wiederzukommen, Streitpatiencen zu spielen? Und als sie fort war, wurde dem Igel ein Ehrenbegräbnis zuteil, neben der Eidechse, mit Kreuz und allen Schikanen, ein Tierfriedhof wurde angelegt. Ob es in Buxtehude wohl ein Hase-und-Igel-Museum gab? Im Geschichtenbuch trug der Igel Holzschuhe und der Hase ein Monokel.
    Ein andermal kam ein wütender Bauer in Gummistiefeln auf den Hof gestürmt. Es wären Kinder über seine Wiese gelaufen, ob er ihnen denn gar nicht sagt, daß man nicht über die Wiese laufen darf? Wie soll er das denn mähen? Das Gras richtet sich doch nie wieder auf?
    Matthias hatte von Landwirtschaft keine blasse Ahnung, von«Heumahd»hörte er jetzt zum erstenmal. Davon hatten sie im Seminar nichts vernommen.
    Matthias machte ein wütendes Gesicht und stellte sich neben den Bauern und schimpfte auf die Kinder. Und beim Nachhausegehen schärfte er ihnen ein:«Ihr dürft nicht über die Wiese gehen, habt ihr das kapiert? – Ich hätte euch eigentlich für klüger gehalten… »Und am Abend ging er hin zu dem Bauern und entschuldigte sich für die Kinder und sagte, er hätte ihnen ins Gewissen geredet und so weiter. Und dabei entdeckte er einen alten Schrank auf der Diele, schwarz und schief, und den kaufte er dem Bauern ab für fünfundsiebzig Mark. Als

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