Heile Welt
erleuchtet, und Stimmen waren zu hören. Matthias machte das Boot fest, stieg aus und sah zu dem Haus hinüber. Die Fenster standen offen: kein Zweifel, dort wurde gefeiert. Jemand spielte auf einem Saxophon die altbekannte Swingmelodie:«You are my lucky star…», auf dem Klavier wurde das begleitet.
Er dachte an einen Lampionabend zu Hause, lange vor dem Krieg. Besuch hatte im Garten gesessen, eine warme Sommernacht, und seine Mutter hatte mit dem Nachbarn im Gebüsch gestanden.
23
A n einem Mittwoch spielten die Kinder Völkerball, wie jeden Mittwoch in der letzten Stunde und auch sonst. Matthias ließ sich einen Stuhl an die Trennlinie stellen, um beobachten zu können, ob auch alles mit rechten Dingen zugeht. Luers und Gitte, die beiden Kleinen, standen links und rechts von ihm und meldeten ihm ungefragt, wenn einer abgeworfen oder übergetreten war. Die wurden dann für tot erklärt, weshalb der Völkerball manchenorts auch Mordball genannt wurde. Zum Mitspielen waren sie noch zu klein, aber Verstöße gegen die Regeln melden, das konnten sie.
«Hei hett œverpett’t», so hieß das auf Platt, und:«Hei is dot!»Ein einziges Mal hatte Matthias mitgespielt, aus einer Laune heraus, so alt war er ja noch nicht, Völkerball, das kannte er noch, das erinnerte ihn an die Schulzeit, besser als Boxen war das gewesen, humaner. Und dabei hatte er dann einen Ball in die Magengrube gekriegt, der war nicht von schlechten Eltern gewesen. Nach Luft schnappend war er auf den Stuhl gefallen.
Das Einteilen der Mannschaften konnte Matthias anstellen, wie er wollte, es fanden sich doch immer alle Flaschen zusammen, von den Sportstypen geschickt ausmanövriert. Im Sporthandbuch stand, man sollte das Einteilen beim Rauslaufen aus der Schule besorgen, sich an die Tür stellen und: links/rechts, links/rechts – aber das System beim Auseinandersortieren kapierten die Sportstypen sofort, wie oft er es auch änderte, die kriegten das immer hin, daß sie zur richtigen Partei kamen.«Wählen»hatte keinen Sinn, das führte zu demselben Ergebnis, und das dauerte endlos.
Es war ja leider so, daß die hellen Köpfe auch im Sport gut waren. Schwach im Rechtschreiben hieß noch lange nicht: gut im Sport. Schließlich ließ Matthias vom Dorfschneider zwei Fahnen nähen, eine gelbe Sonnenblumenfahne und eine rote Apfelfahne. Und dann teilte er die Kinder einigermaßen gerecht in zwei Parteien, ein für allemal, und von da an ging’s.
An diesem Mittwoch saß er auf dem Stuhl, die Sonne im Rücken, den Strohhut auf dem Kopf, und rief«Ab!», wenn die Schüler«Ab!»riefen. Aber plötzlich liefen die Kinder zur Pforte, da stand der FIAT 500. Ellinor drehte die Scheibe herunter und fragte, ob er nicht Lust hat mitzukommen, nach Angertorf. Es war’ doch so schönes Wetter, und wenn er mitkäm’, dann könnte sie ihm mal das Künstlerdorf zeigen, sie kennt dort jedes Kind…
Es müsse aber schnell gehen, lange warten könne sie hier jetzt nicht.
«Also Kinder, Schluß!»wurde gerufen. Fünf Minuten früher nach Hause gehen ist immer noch besser als Sport, obwohl man zu Hause sofort angestellt wird, dies noch zu tun und das noch zu tun. Die Kinder rasten davon, und Matthias schloß die Schule ab und setzte sich zu Ellinor ins Auto. Auf eine Ehrenrunde durch das Dorf wurde verzichtet, man mußte es ja nicht gleich allen auf die Nase binden, daß der Lehrer mit der Künstlertochter zusammen über Land fährt. Das war auch gar nicht nötig, denn die Kinder erzählten es sowieso herum. – Braute sich da was zusammen?
Bei Kaufmann Klapproth, der jetzt eine Tanksäule vor seinem Laden stehen hatte, wurde noch mal eben vollgetankt, und dann ging’s über die Eische hinweg fort. Klapproth sah ihnen nach, den tropfenden Schlauch in der Hand. Achtundzwanzig Pfennig kostete der Liter, daran war nicht viel zu verdienen, aber immerhin: Kleinvieh macht auch Mist.
Während sie aus dem Dorf hinausfuhren – Hunde folgten ihnen kläffend -, hörte Matthias die letzten Neuigkeiten links und rechts von Klein-Wense. Daß der alte Bauer Up de Hœcht ins Krankenhaus gekommen wär’, nun wären die jungen Leute wohl bald erlöst. Der Sohn bei der Waffen-SS, vom ersten bis zum letzten Tag an der Front. Kopfschuß – dauernd Schmerzen. Und die Frau im Kirchenvorstand.
Ob er sich schon mit Carla Freede angefreundet habe?, wollte Ellinor wissen, ein nettes Kind, nein? Nicht?’n bißchen dumm… Die Freedes hätten ja viel Glück gehabt in der
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