Heilige Scheiße - Bonner, S: Heilige Scheiße: Wären wir ohne Religion wirklich besser dran?
reinzuziehen. Immerhin ist die Bibel der Bestseller schlechthin – geschätzte dreißig Millionen Exemplare gehen jedes Jahr über den Ladentisch. Sie liegt in beinahe jedem Hotelzimmer, Politiker werden auf sie vereidigt, und Kindern erzählt man die besten Stellen, damit sie gute Menschen werden. Immanuel Kant konnte nicht ohne sie: »Sie ist mein edelster Schatz, ohne den ich elend wäre.« Dietrich Bonhoeffer erkannte in ihr das Wesen aller Dinge: »Ich glaube, dass die Bibel allein die Antwort auf alle unsere Fragen ist.« Regisseur Wim Wenders zieht sie anderen Drehbüchern vor: »In meinem Leben ist es das wichtigste Buch.« Und Bild -Chefredakteur Kai Diekmann findet ihre Schlagzeilen unschlagbar: »Die Bibel ist eben das Buch der Bücher! Mit seinen Geschichten ist es ein ungeheuer aktuelles Buch, mit dem, was es uns für heute zu sagen hat.« Hinzu kommt, wie bei jedem Bestseller: Es lohnt sich, ihn zu kennen, um mitreden zu können. Doch sind die Geschichten von Genesis, Goliath und Gomorrha wirklich genial oder mittlerweile völlig gestrig?
»Mit Religion kann ich heute nichts mehr anfangen.«
Gentleman
Die Oberammergauer haben zumindest schon mal herausgefunden, dass man mit der Bibel regelmäßig viele zehntausend Menschen und deren Moneten anlocken kann. Die Inszenierung ist top, das Bühnenbild gekonnt, und die Gewänder von Kaiphas und Herodes würden bei jeder Kostümpreisverleihung auf dem Siegertreppchen landen. »Wann brannte zuletzt ein solch prächtiges Lagerfeuer in einem Dornbusch?«, frohlockte die Berliner Zeitung wie einst Mose angesichts der Requisiten. Stimmt, so was sieht man nicht alle Tage. Aber nicht nur die Ausstattung, sondern auch die Darstellerinnen erwärmen die Herzen – vor allem Maria, ein bayrisches Madl mit ortsüblichem Akzent.
Bei uns hält sich die Begeisterung ein wenig in Grenzen – was auch am Wetter liegt, das mittlerweile auf Bindfädenregen umgestellt hat. Wir haben uns vorsichtshalber mit einem Klosterliqueur aus Ettal bewaffnet, um der Kälte in der Freilichthalle stilgerecht zu trotzen. Das Licht geht aus. Der Chor mit hellen langen Gewändern und weißen Hauben, die an aufgerollte Kondome erinnern, betritt die Bühne und legt sich ins Zeug, als würde der Allmächtige zur Apokalypse blasen. Die nächsten drei Stunden gestalten sich allerdings etwas statisch: Der Singsang und die alttestamentarischen lebenden Bilder, eine Art Prequel zur Jesus-Story, wechseln sich mit den gespielten Szenen ab. Es gibt lange Dialoge und noch längere. Wer kein Deutsch oder Bayrisch spricht – das betrifft wohl die meisten Zuschauer –, blättert derweil mit einer kleinen Leselampe fieberhaft in der telefonbuchdicken Übersetzung. Eigentlich überflüssig, denn die Geschichte ist ja bekannt, und so lauert in keiner Szene eine Überraschung. Das denkt sich wohl auch der ältere Herr neben uns, der sich in seinen Mantel kuschelt und kurz ein Nickerchen einlegt.
Wir fragen uns angesichts der getragenen Bühnendarstellung, ob die zweitausend Jahre alte Erzählung vom Zimmermannssohn aus Nazareth heute noch mit modernen Geschichten mithalten oder uns gar als Lebenswegweiser dienen kann. Es ist natürlich unfair, das bayrische Volkstheater mit Hollywood-Blockbustern zu vergleichen. Als Mitglieder einer Generation, die stark vom Popcornkino beeinflusst wurde, kommen wir jedoch nicht umhin, einen Vergleich anzustellen. Schließlich behaupten viele Bibelforscher, man habe Jesus allerhand Wunder nur angedichtet, damit seine Geschichte mit den damaligen Berichten über andere Propheten mithalten konnte – wer das größte Wunder hatte, konnte sich über die meisten Fans freuen. Wenn das damals schon so war, dann ist es nur folgerichtig, den Wanderprediger aus Nazareth mit modernen Helden zu vergleichen.
Im Gegensatz zu einem James-Bond-Streifen zeichnet sich die Bibelaufführung weder durch Special Effects noch durch Explosionen aus. Die einzige Actionszene kommt erst ganz am Ende. Die Kreuzigung jagt einem, weil live auf der Bühne, ein mulmiges Gefühl ein. »Die Geißelung mit ihrer Brutalität geht an die Nieren«, gestand auch Jesus-Darsteller Frederik Mayet. Allerdings hat man heutzutage schon blutigere Schlachtplatten gesehen. Psychothriller von Bestsellerautoren wie Cody Mcfadyen sind weitaus gewalttätiger, und wie man Jesus stilecht abmetzelt, hat Mel Gibson in seinem umstrittenen Film Die Passion Christi gezeigt.
Erstaunlicherweise sind es nicht die fehlenden
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