Heilige Scheiße - Bonner, S: Heilige Scheiße: Wären wir ohne Religion wirklich besser dran?
Akt, den er jeden Tag dutzendfach absolviert, aber für mich ist es das erste Mal. Mir ist daher ein wenig mulmig zumute, denn wer weiß schon, was passiert, wenn man dem Allmächtigen die Freundschaft kündigt. Werde ich einem peinlichen Verhör unterzogen? Mitnichten – es geht leichter als der Abschluss einer Versicherungspolice: Zwei Unterschriften und eine Bearbeitungsgebühr später bin ich raus – aus dem Amtsgericht und aus der Kirche. Die Welt geht nicht unter, es trifft mich kein Blitz. Oder war der Bußgeldbescheid unter meinem Scheibenwischer etwa ein himmlisches Zeichen?
Zwei Wochen später erreicht mich Post von der evangelischen Kirche. Ein Standardschreiben, in dem sinngemäß steht: Schade, dass Sie ausgetreten sind – was soll jetzt aus Ihrem Seelenfrieden und unserem Klingelbeutel werden? Am Ende des Schreibens lädt mich Pfarrer O. zu einem persönlichen Gespräch ein.
Ich muss ehrlicherweise zugeben, dass es mit meiner Glaubensfähigkeit nie weit her war. Zur Konfirmation kann ich nur sagen: Ich war jung und brauchte das Geld. Und obwohl ich nie zu den sonntäglichen Gruppentreffen gegangen bin, blieb ich dabei, es gehörte sich schließlich so. Erst angesichts meines Steuerbescheids habe ich mich gefragt, ob die Mitgliedschaft wirklich sinnvoll ist, wenn man nicht an die Message glaubt. Und selbst wenn, wie hoch stehen die Chancen, dass Gott an der Himmelpforte eine lückenlose Kirchensteuerbescheinigung verlangt?
Mehr aus Neugier als aus Notwendigkeit nehme ich die Einladung von Pfarrer O. daher an und bitte ihn um einen Termin. Vielleicht findet die Kirche ja doch ein paar gute Argumente, mich vom Glauben und vom Wiedereintritt zu überzeugen. Wenige Tage später rauscht eine Mail von Pfarrer O. in mein Postfach. »Herzlichen Glückwunsch, Herr Bonner!«, schreibt er. »Sie sind der Erste, der sich in zwanzig Jahren Dienstzeit auf mein Schreiben gemeldet hat.«
Ich besuche den Kirchenmann an einem Samstagmorgen in seinem Büro. Wir geraten gleich ins Plaudern. Bei einem Kaffee erkläre ich ihm, dass ich mir einfach nicht vorstellen kann, dass ein Gott die ganze Welt erschaffen und dazu noch die individuellen Lebenspläne für Milliarden von Menschen zusammengeschustert haben soll. Das klappt doch nur in Computerspielen wie Populous.
»Wir können uns das so vorstellen: Gott ist transzendent«, erklärt der Pfarrer und deutet aus dem Fenster in den Garten. »Er ist der Grund für alles, was wir sehen. Er ist in den Dingen – in dem Baum dort drüben, dem Teich auf der anderen Seite oder den Wolken am Himmel.«
Für einen Moment erinnert mich Pfarrer O. an Yoda, der Luke Skywalker in Das Imperium schlägt zurück erklärt, dass die Macht in allen Dingen ist, die uns umgeben. Ich spüre einen Anflug von Begeisterung.
Pfarrer O. scheint das zu wittern und setzt noch einen drauf. »Gott kann sich zum Beispiel auch in Ihrer Co-Autorin, der Frau Weiss, offenbaren.«
»Muss ich dann vor ihr niederknien?«
»Nein, nein«, beruhigt mich Pfarrer O. »Sie ist ja dann nicht Gott, er ist nur in ihr drin.«
Ob Anne das so recht ist?
Als ich draußen im Sonnenschein stehe, stelle ich verwundert fest, dass nach dem Gespräch mit Pfarrer O. mehr Fragen offen sind als vorher – ich habe das Gefühl, dass seine halbgaren Erklärungen eher pantheistisch sind als protestantisch. Zum Ausstieg aus dem Ausstieg hat mich hier keiner bekehren können.
D ass dennoch viele ihre Clubmitgliedschaft noch nicht gekündigt haben, liegt an einer gewissen adac -Mentalität: Man ist halt drin in der Kirche, weil einen die Eltern irgendwann mal angemeldet haben. Es schadet nicht, die Bezahlung der Monatsbeiträge erfolgt ganz automatisch und in Bedarfsfällen kann man den geistlichen Pannendienst bestellen. Außerdem haben viele von uns das diffuse Gefühl, dass ohne das Engagement der Kirche das gesamte Sozialsystem unseres Staates zu Bruch gehen würde. Wir beruhigen deshalb mit der Kirchensteuerpflichtspende vor allem unser soziales Gewissen.
Ansonsten wird Kirche für uns allenfalls noch dann cool, wenn sie als Zitat daherkommt: Als stylischer »Wei-Wasser«-Energydrink, als Votivkerze aus dem italienischen Supermarkt oder als modischer Holunder-Weißweinmix »Holy Bowly«, mit dem man sich in den Himmel der Notaufnahme tanken kann.
Den Papst geben wir uns gerne, wenn er als infantile und durchgeknallte Zeichentrickfigur in Popetown unser Zwerchfell in Wallung bringt. Die Werbeanzeige der MTV-Serie mit
Weitere Kostenlose Bücher