Heilige Scheiße - Bonner, S: Heilige Scheiße: Wären wir ohne Religion wirklich besser dran?
gestoßen.
Benedikt ist ohnehin nicht so beliebt wie sein Vorgänger. Das lassen auch die Vaticanisti, das vom katholischen Kirchenstaat akkreditierte Medienpersonal, verlauten. B16 – so ihr Kosename für den Papst – »komme nicht an in der Welt, das immer neu zu erleben, sei schmerzhaft«, so zitiert der Spiegel die Journalisten, die mehrere Tausend Euro dafür löhnen, dass sie auf Reisen nah am Heiligen Vater sein und quasi aus dem Schoß der Kirche berichten dürfen. Apropos Reisen: Vielleicht liegt das pr -Problem ja auch daran, dass Benedikt das medienwirksame Rollbahnknutschen abgeschafft hat, eine Lieblingsbeschäftigung seines Vorgängers Johannes Paul II., der wegen seiner Vielreiserei auch »eiliger Vater« genannt wurde.
»Papst John Paul wäre wesentlich beliebter, wenn er sich Papst John Paul George and Ringo nennen würde.«
Paul Krassner
Und so bekommt Benedikt xvi . auf seinen Reisen reichlich Gegenwind. Anfang 2010 hatte die Gottesleugnerszene rund um den Bestsellerautor Richard Dawkins vor dem Eintreffen des Papstes von einem Anwalt prüfen lassen, ob man diesen anlässlich der Missbrauchsskandale wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit anklagen und einbuchten könnte. In Barcelona wurde er von einem knutschenden Homo-Flashmob empfangen, in Santiago de Compostela musste die Polizei größere Ausschreitungen unterdrücken, und Staatschef Zapatero setzte Prioritäten und reiste spontan nach Afghanistan. Spanien sei einem aggressiven Säkularismus ausgesetzt, rügte der Papst. »Es ist nötig, dass der Name Gottes unter dem Himmel Europas freudig wieder erklingt.« Die Toreros antworteten auf ihre Weise: Sie verpassten einer kleinen Tonfigur mit heruntergelassener Hose das Antlitz von Benedetto. Diese Figur, der » caganer «, zu Deutsch Scheißerchen, hat Tradition in Katalonien. Sie wird in die Nähe einer Weihnachtskrippe, meist von einem Busch verdeckt, gestellt. Wer den kleinen Schisser entdeckt, dem bringt es angeblich Glück. Viele Prominente hatten vor dem Papst schon die zweifelhafte Ehre, als » caganer « dargestellt zu werden, unter anderem Fernando Alonso, George W. Bush, Barack Obama, Angela Merkel, Elvis, Ronaldinho und Prince Charles. Der Heilige Stuhl war auf den Märkten Barcelonas wochenlang der Renner.
Das ist zwar nicht sonderlich nett, aber immerhin noch keine Twitter-Revolution gegen den Papst, der sich inzwischen sogar die Unterstützung seiner Anhänger verspielt. Anfang 2011 forderten zunächst einhundertvierundvierzig und schließlich insgesamt zweihundertvierzig Theologieprofessoren aus dem deutschsprachigen Raum längst fällige Überholungsmaßnahmen. Sie riefen in einem Memorandum zum offenen Dialog auf, forderten das Ende der Pflichtenthaltsamkeit, mehr Transparenz, die Zulassung von Verheirateten und Frauen zum Priesteramt, die Anerkennung von schwulen Lebensgemeinschaften, die Beteiligung des Kirchenvolks an der Wahl der Bischöfe und ein Ende des »selbstgerechten moralischen Rigorismus«. Kurz: Sie wollten die Freiheit. Aber will die Kirche das auch? Nicht, wenn man Kardinal Meisner hört. »Wo leben die denn?«, war seine Reaktion.
Davon lässt sich eine der hartnäckigsten innerkirchlichen Protestgruppen, das Volksbegehren »Wir sind Kirche«, nicht abschrecken. Seit über fünfzehn Jahren kämpfen die Mitglieder für eine Reformation der katholischen Kirche. Sie wollen die Kluft zwischen Klerus und Laien überwinden, fordern die volle Gleichberechtigung der Frauen und die Abschaffung des Pflichtzölibats, eine liberalere Sexmoral und »Frohbotschaft statt Drohbotschaft«. Also im Grunde eine Umwandlung des Katholikenclans in einen protestantischen Sozialverein – die Mitglieder der Bewegung müssen sich daher auf ihren Pressekonferenzen auch ständig die Frage gefallen lassen, warum sie denn nicht einfach zum evangelischen Glauben konvertieren.
»Wir lieben unsere Kirche, und wir werden sie nicht so einfach aufgeben«, sagt Christian Weisner, der zum Bundesteam gehört. »Wir setzen auf eine Veränderung von innen.« Die Erfolgsquote bewegt sich auf der Nulllinie – ähnlich wie bei den Schwulen und Lesben, die sich in ihrer Kirche für mehr Toleranz starkmachen –, die Kirche stellt konsequent auf Durchzug, immerhin setzt sie bereits seit Ewigkeiten auf Dogmen statt auf Demokratie.
»Der Glaube ist eine sechste Art von Sinn, der wirksam wird, wenn die Vernunft versagt.«
Mahatma Ghandi
Vor allem die jüngeren katholischen Bischöfe
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