Heilige Scheiße - Bonner, S: Heilige Scheiße: Wären wir ohne Religion wirklich besser dran?
anderen Winkeln evangelischer Überzeugungen verbergen sich altbackene Dogmen, die sich nicht sonderlich vom konservativen Katholizismus unterscheiden. In einer Orientierungshilfe der ekd mit dem Titel »Mit Spannungen leben« aus dem Jahr 1996 heißt es unter anderem zum Thema Schwulenehe: »Für gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften kann jedoch eine Übereinstimmung mit dem Willen Gottes aufgrund von Schrift und Bekenntnis so nicht behauptet werden. Darum wird ausdrücklich festgestellt: Die Segnung einer homosexuellen Partnerschaft kann nicht zugelassen werden.«
Als das Parlament der ekd vierzehn Jahre später in einem neuen Pfarrdienstgesetz lesbischen Pfarrerinnen und schwulen Pfarrern dann doch erlauben wollte, zusammen mit ihrem Partner im Pfarrhaus zu leben, gab’s Ärger: Acht Altbischöfe gingen auf die Barrikaden und sorgten innerhalb ihrer Kirche für einen der größten Aufstände seit langem. »Die Gründe der Heiligen Schrift, mit denen die Kirche Homosexualität als widernatürlich und schöpfungswidrig zu beurteilen hat, sollten auch von denen ernst genommen werden, die sie ihrerseits ablehnen«, ließen die Aufständischen verlautbaren. Der Initiator der Rebellion, der frühere Lübecker Bischof Ulrich Wilckens, meinte, die Kirche müsse hart bleiben, »auch wenn die Gesellschaft Druck ausübt. Homosexuellen Menschen muss die Kirche raten, bindungslos zu leben.« Solche Ansichten vertrat Wilckens auch im horizonte -Gespräch gegenüber David Berger, einem schwulen katholischen Theologen, der sich mit dem Buch Der heilige Schein zu seiner lange Jahre vor seiner Kirche geheimgehaltenen Homosexualität bekennt. Für Wilckens widerspricht eine gleichgeschlechtliche Partnerschaft dem Willen Gottes. Da er Protestant ist, sei es aber für ihn jedoch klar, dass diesbezüglich keine alttestamentarischen Regeln mehr angewendet werden müssten: »Ein homosexuell Lebender ist zwar in Sünde, wird aber ganz zweifellos in der Kirche nicht getötet.«
Schwule will also auch die protestantische Kirche nicht in ihren Pfarreien haben – aber als Frau, da ist man dort doch gern gesehen, oder? Nun, auch im zehnten Gebot der Protestanten steht die Frau ganz selbstverständlich neben Knecht, Magd, Vieh und sonstigem Eigentum des Mannes. Trotzdem dürfen Frauen bei den Protestanten predigen – und erhalten mitunter hohe Ämter. Im Gegensatz zu ihren männlichen Kollegen zeichnen sie sich vor allem dadurch aus, dass sie im Fall einer Verfehlung schneller zurücktreten, wie Margot Käßmanns Reaktion zeigte, nachdem sie blau gemacht hatte. Großes Aufsehen erregte 2010 der Rücktritt der Hamburger Bischöfin Maria Jepsen. Ihr war vorgeworfen worden, in den neunziger Jahren Hinweisen auf Missbrauch durch einen evangelischen Pfarrer in Ahrensburg nicht nachgegangen zu sein. Eine besonders bittere Pille für ihre Kirche, denn Jepsen war die erste Frau, die man jemals auf einen Bischofsstuhl gesetzt hatte. Nachdem nun die Vorzeigetheologinnen Käßmann und Jepsen nicht mehr predigen, wird es schwer, weiterhin zu behaupten, die evangelische Kirche sei ein Hort der Gleichberechtigung – zumal dies rein zahlenmäßig betrachtet noch nie so war: »Frauen und Männer zu gleichen Teilen in Führungsgremien – bei der evangelischen Kirche in Deutschland Fehlanzeige«, kommentierte wdr 5 in der Sendung Diesseits von Eden . Zwar sind mehr als zwei Drittel der ehrenamtlichen Mitarbeiter Frauen. Im Pfarramt ist allerdings lediglich ein Viertel der neunzehntausend Geistlichen weiblich. Bei den geistlichen Kirchenleitungen liegt der Anteil der Frauen unter zehn Prozent, in der Kirchenverwaltung bei einem Viertel, und die einsame Spitze bildet inzwischen eine einzige deutsche Bischöfin, Ilse Junkermann.
Dabei soll Kirche doch Werte vertreten – ist denn nicht die Gleichberechtigung einer davon? Allerorten sitzen beim Schwatz im TV Priester und Kardinäle mit in der Runde, um ihren Senf zu einer im weitesten Sinne als Wertediskussion zu verstehenden Zeterei abzugeben.
Der katholische Weihbischof Franz-Josef Overbeck ist der Auffassung, die Kirche sei Spitzenklasse, was die Wertschöpfung angeht: »Die Kirche ist diejenige Institution, die uns zeigt, wie überhaupt Moral zu verstehen ist und was Werte sind, die der Mensch zu leben hat, damit er ein erfülltes Leben finden kann.« Und Abtprimas Notker Wolf sieht die Kirche als Wertevermittler: »Ohne die christlichen Kirchen wäre die Frohe Botschaft Jesu längst in
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