Heilige Scheiße - Bonner, S: Heilige Scheiße: Wären wir ohne Religion wirklich besser dran?
scheinen wieder zu einer kompromissloseren Haltung zurückzukehren, ganz so, als wollten sie auf diese Weise aktiv gegen eine drohende Öffnung der Kirche steuern: Einer von ihnen ist Bischof Franz-Josef Overbeck, Jahrgang 1964, der mit seinen rigiden Vorstellungen über Homosexualität als Sünde von einer Talkshow zur nächsten hoppt. Ein anderer ist Franz-Peter Tebartz-van Elst, Jahrgang 1959, der von sich selbst gerne sagt, dass Gott durch ihn spreche – »das waren nicht meine Worte, das waren Seine«. Tebartz-van Elst kämpft für alte Werte, als wollte er mit seiner Kirche direkt ins Mittelalter zurückkehren. Er kritisiert die Medien und die Geisteshaltung in westlichen Gesellschaften und widerspricht Bundespräsident Christan Wulff scharf – der Islam gehöre keineswegs zu Deutschland. Der Bischof liebt’s überdies üppig: So entsteht auf dem Limburger Domberg hinter den hohen Mauern eines alten Adelshofes ein prachtvoller Herrschaftssitz für Tebartz-van Elst, mit Empfangs- und Serviceräumen und einer eigenen Privatkapelle, Kostenfaktor: geschätzte zehn Millionen Euro. In der Stadt sieht man den neuen Vorbeter nur im schwarzen bmw mit abgedunkelten Scheiben – das Hinweisschild »Bischof von Limburg« weist darauf hin, wer sich hier gerade kutschieren lässt.
Gleichzeitig hat der Bischof seinem Bistum ein strammes Sparprogramm verordnet. Die Zahl der Gemeinden, Messen und Seelsorger wird beträchtlich eingedampft, und in den Gemeinden sammeln die Gläubigen bereits selber Spenden, um ihre Kirchen vor dem Verfall zu bewahren. In fünf Jahren soll die Zahl der Pfarreien von rund dreihundert auf vierzig sinken. Die Befürchtung des Theologen Dexelmann: »Dabei kommt eine andere Kirche heraus: Aus Seelsorgern werden Kultpriester.«
Im vergangenen Jahr hatten Tebartz-van Elsts Kollegen dann endgültig die Nase voll von seinen Sprüchen: Zweihundertfünfundvierzig katholische Priester unterschrieben den Brandbrief » sos – Dies ist ein Aufschrei von Seelsorgern im Bistum«. Die Geistlichen kritisierten den »Hochglanzkitsch« des Bischofs, seine »selbstverliebten Rituale« und seinen »klerikalen Dünkel« – die »Luft zum Atmen wird uns sehr dünn«, klagten sie. »Die Kluft zwischen Gläubigen und Kirchenführern ist stark gewachsen«, stellt Priester Hubertus Janssen fest.
Doch aus dem Pool der Gläubigen soll schließlich mal das zukünftige Personal der Kirche kommen. »Die Kirchen machen aus ihrer Botschaft kein modernes Angebot«, so der ehemalige Religionslehrer und Sprecher von »Wir sind Kirche«, Magnus Lux. »Ihr Brimborium törnt ab, die veralteten Riten sind für Jugendliche nur noch albern. Viele junge Menschen fragen sich: Was bringt mir das überhaupt noch?«
»Ich glaube nicht an den alten Herrn mit dem weißen Bart da oben im Himmel.«
Ben Becker
Wer soll sich also noch für die Glaubensorganisation einsetzen, wenn der Funke nicht schon in jungen Jahren übergesprungen ist? Es ist nicht verwunderlich, dass der Gottesclan inzwischen ein ernstes Nachwuchsproblem hat.
Der Priestermangel zwingt die Bischöfe schon jetzt zur Zusammenlegung von Gemeinden und zur Schließung von Gotteshäusern. Mehrere Hundert Kirchen stehen deutschlandweit zum Verkauf oder sind gar vom Abriss bedroht, die Zahl der Gemeinden in den Bistümern wird weiter schrumpfen. An den theologischen Fakultäten ist massiver Personalabbau im Gange. Katholischer Priester zu werden, das scheint nicht mehr en vogue zu sein: Seit Mitte der achtziger Jahre sinkt die Zahl der neu aufgenommenen Priesterkandidaten rapide: Gab es 1983 noch insgesamt achthundertneunundzwanzig angehende Diözesan- oder Ordenspriester, waren es 2005 nur noch zweihunderteinundvierzig. Es fehlt der Nachschub von den Unis: Die Zahl der evangelischen Studenten hat sich in diesem Zeitraum halbiert, die der katholischen ist um vierzig Prozent gesunken.
Wie schwierig es ist, junge Anwärter für den Traditionsberuf des Priesters zu begeistern, weiß auch Franz Joseph Baur, Regens des erzbischöflichen Priesterseminars St. Johannes der Täufer in München. Wir treffen ihn und zwei seiner Priesterkandidaten im idyllischen Innenhof der Einrichtung, wo ein Springbrunnen plätschert und Mußestunden erahnen lässt. Doch der Schein trügt, denn wer es mit der Ausbildung ernst meint, muss sich an einen strammen Tagesablauf gewöhnen: Morgens um halb sieben gibt es ein knackiges Morgengebet – »da wird schon geschaut, wer am Abend zuvor im
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