Heilige Scheiße - Bonner, S: Heilige Scheiße: Wären wir ohne Religion wirklich besser dran?
Bierstüberl war und durch Abwesenheit glänzt«, so Baur. Um sieben Uhr findet die Heilige Messe statt, danach wird gemeinsam gefrühstückt. Den Morgen verbringen die Aspiranten an der Uni, der Nachmittag ist mit weiteren Kursen im Priesterseminar verplant, in denen etwa Stimmbildung gelehrt oder per Rollenspiel die Eheberatung geübt wird. Man kann zwischendurch gar nicht auf dumme Gedanken kommen.
»Nur noch wenige junge Menschen können sich ein Leben nach so strengen Regeln vorstellen«, sagt Regens Baur. »Es passt nicht mehr in die heutige Zeit, sich für ein ganzes Leben festzulegen. Während andere in ihrem Leben zwölf Arbeitgeber haben, haben Sie als Priester nur einen.« Rund ein Drittel der Studierenden bricht die Ausbildung ab, weil sie die engspurige Lebensführung nicht ertragen oder lieber eine Familie gründen möchten.
Wer Priester werden will, muss Überzeugungstäter sein. So wie Florian Haider. »Der lebendige, persönliche Gott ist für mich der Partner fürs ganze Leben«, sagt der sechsundzwanzigjährige Priesteranwärter und sieht dabei äußerst zufrieden aus. »Das Verhältnis zu Gott ersetzt für mich Ehe und Kinder.« Allerdings hat er auch erfahren, dass man mit einem solchen Lebensentwurf im Freundeskreis schief angesehen wird. »Man wird schon mit vielen Vorurteilen konfrontiert«, bestätigt sein Seminarkollege Mario Haberl, ein schlaksiger junger Mann Anfang zwanzig mit dunklen Haaren. »Meine Freunde haben mich erst mal gefragt, ob ich einen Schlag habe, dass ich Priester werden will.«
Durchsetzen kann man seine Berufswünsche nur, wenn man vollkommen hinter der Lehre der Kirche steht. »In der Bibel ist die Praxis der Homosexualität zum Beispiel ein klares No-go«, erklärt Florian Haider. »Die Zehn Gebote spiegeln den Willen Gottes. Man darf sie nicht drehen und wenden, wie man will, und sich irgendwie seine eigene Religion basteln.« Auch das Priesteramt für Frauen kommt für ihn nicht in Frage, denn »Christus war ein Mann, und Priester repräsentieren Christus«.
»Die offizielle Kirche hat bei allen aktuellen Fragen der Zeit immer versagt.«
Probst Heinrich Gruber
Am Springbrunnen im Innenhof des Münchner Priesterseminars mögen diese Vorstellungen zur eigenen Lebenswelt passen – aber schon ein paar Meter weiter, draußen auf der Straße, schütteln viele Menschen den Kopf, wenn mystische Erlebniswelten auf aufgeklärten Realismus treffen. Viele meinen deshalb, dass man die Kirche gar nicht mehr zwangsläufig braucht, wenn man an etwas glauben will. Wer sich als Gläubiger nur noch mit einzelnen Steinchen aus dem Kirchenmosaik identifizieren kann, der kocht sich lieber sein eigenes Christussüppchen. Und wer etwas glaubt, behält das lieber für sich oder gesteht es allenfalls unter Gleichgesinnten, denn der Gläubige ist heute schnell der Doofe. Was Nachbarn, Bekannte und Kollegen über Gott und die Welt denken, weiß man daher oft gar nicht.
Auch Fußballtrainer Frank Schaefer hätte seinen Glauben vielleicht lieber unter den Teppichrasen gekehrt, nachdem er dafür übel gefoult worden war. Gerade rettete er noch den 1. FC Köln vor dem Abstieg, als plötzlich seine Mitgliedschaft bei einer evangelikalen Freikirche auf der Tagesordnung stand. »Entscheidet sich etwa hier Schaefers Zukunft?«, schrieb die bild unter ein Foto seiner Kirche. Manch einer befürchtete, dass Schaefers Glaube seiner Arbeit als Coach im Wege stehe. Nach dem freiwilligen Rückzug des fc -Coachs titelte der Express: »Jetzt hilft nur noch beten.«
Gläubige unterhalten sich daher in vielen Fällen lieber mit niemandem mehr darüber, aus Angst, dass sie für bekloppt gehalten werden, wenn sie eingestehen, dass sie an eine höhere Macht glauben. Warum auch nicht, hat doch Jesus schon gesagt: »Geh in deine Kammer, wenn du betest, und schließ die Tür zu; dann bete zu deinem Vater, der im Verborgenen ist.« So findet sich heute kaum noch jemand, der seinen christlichen Glauben öffentlich auslebt und sich dabei zu strengen Kirchenregeln bekennt.
Eine Gruppe von Christen, die sich auf dem Rückzug ins Private befinden, ist die geistliche Gemeinschaft Motoki, deren Vereinsraum in einem Stadtteil von Köln liegt. Zwischen Plüschsofa und Kaffeetafel geht es in gemütlicher Wohnzimmeratmosphäre zurück zu den Wurzeln des Christentums. Kleine Konzerte und Ausstellungen – wer hier nicht genau hinsieht, würde zunächst mal nichts Christliches vermuten.
Motoki ist klein und will es auch
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