Heilige Scheiße - Bonner, S: Heilige Scheiße: Wären wir ohne Religion wirklich besser dran?
jemanden, was da irgend so einer aus Rom sagt. Das ist doch völliger Humbug.«
Schießler ist eine One-Priest-Show. Kommen so viele Menschen zu ihm in die Kirche, weil sie hoffen, dass er auch vom Altar aus eine Maß statt eine Hostie ausschenkt? Wohl eher, weil er den Menschen aus dem Herzen spricht und man in seiner Messe nicht einschläft. Der Mann hat Charisma, er ist ein Original – selten in unserer Zeit, noch seltener in der Kirche.
»Nicht nur Gott, auch der Glaube an sich ist unbeweisbar. Nicht einmal der Papst kann beweisen, dass er glaubt, woran zu glauben er vorgibt.«
Friedrich Dürrenmatt
Für die Kirche sind Leute wie Schießler bedrohlich. Mit ihrer liberalen Einstellung rütteln sie an den Grundfesten der Organisation – am Katechismus. Vieles spricht dafür, dass eine Änderung der Statuten fatal für die Kurie wäre. Wenn es der Kirche nur darauf ankäme, ihre Gebäude zu füllen, dann hätte sie die Kohle, um Paul Wesley einzuladen, von der Kanzel aus über seine Rolle in den Vampire Diaries zu plaudern. Auf diese Idee käme aber keiner, denn das hat nichts mehr mit Religion zu tun. »Wie also kann ich den Glauben an die neue Generation weitergeben?«, fragt Kurienkardinal Walter Kasper. »Ich weiß: Das funktioniert sicher nicht dadurch, dass ich die Kirche einfach an die heutige Gesellschaft anpasse.« Innerhalb der Logik der Kirche hat er recht, denn egal, um welche der zwei christlichen Amtskirchen es geht – diese basieren auf der göttlichen Offenbarung der Bibel. Deswegen schrecken die Kirchenoberen davor zurück, die Bibel nach dem Wind des Zeitgeists zu hängen und so auszulegen, wie es gerade am besten zum aktuellen Tagesgeschehen passt. Sie konzentrieren sich lieber darauf, Althergebrachtes zu bewahren, indem sie eine bekannte Buchhandelskette unter Verbalbeschuss nehmen, weil diese es gewagt hat, zu Ostern mit dem Slogan »Die schönsten Geschenke zum Hasenfest« zu werben. Statt wirklicher Erneuerung werden gerne auch Fakten geschaffen, die nicht sichtbar sind und sich im Dachstübchen ihres Glaubensgebäudes befinden. Zum Beispiel schaffte Benedikt xvi . Anfang 2011 die Vorhölle für Babys ab. Damit bewegte er wirklich was – er errettete Millionen von Babyseelen in den Entwicklungsländern. Nachprüfbar ist das leider nicht, aber man kann nicht sagen, dass er sich nicht bemüht hätte – immerhin kann er so endlich wieder mit dem Islam gleichziehen: Dort kamen totgeborene Babys nämlich bisher auch direkt ins Paradies. Die Auflösung der Babyvorhölle kostete den Vatikan nichts außer der Arbeitszeit einer dreißigköpfigen Beratungskommission, die Exhölle bringt in Ländern mit einer hohen Kindersterblichkeit bei den Gläubigen und Missionierungskandidaten Bonuspunkte und ist überdies ungefährlich für das Fundament der Kirche: Am Katechismus und damit an den Grundfesten seiner Religion muss der Papst mit diesem Akt der Güte nämlich nicht rühren, denn dort steht nichts über den Limbus infantium – die Vorhölle war seit Jahrhunderten eine bloße Hypothese seiner Religion.
Im Gegensatz dazu würde ein Infragestellen des Katechismus – auch in Teilen – das gesamte Glaubensgebäude in Zweifel setzen, die Kirche würde damit einen nicht zu unterschätzenden Machtverlust riskieren, die dogmatisch begründete Hierarchie kollabieren. Dass diese Gefahr droht, zeigt die evangelische Kirche. Obwohl sie demokratischer und liberaler aufgestellt ist als die katholische Kirche, treten bei den Protestanten von jeher mehr Mitglieder aus. 2010 bildete eine Ausnahme – sicherlich ist dies mit den aktuellen Geschehnissen zu erklären. Dass es sonst andersherum ist, mag daran liegen, dass das evangelische Glaubensgebäude mehr Freiraum bietet. Wirklich gläubige Menschen scheinen gerade heute, in einer Welt voller Möglichkeiten und Chancen, ein eher starres System mit klaren Ansagen zu brauchen – das finden sie nicht nur bei den Katholiken, sondern verstärkt auch bei freikirchlichen, meist evangelikalen Einrichtungen, mit denen die ekd mittlerweile auch offen sympathisiert, in der Hoffnung, verlorene Schafe zurückzugewinnen.
Wer nicht aussteigt, hat dafür aber oft einen beruhigenden Grund: Mit der monatlichen Kirchenspende tut man etwas für den guten Zweck. Oder nicht? Die Kirche nimmt mit diesen Geldern eine wichtige gesellschaftliche Funktion wahr, indem sie soziale Einrichtungen unterhält, jedenfalls bringt sie das bei allen passenden und unpassenden
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