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Heiliger Zorn

Heiliger Zorn

Titel: Heiliger Zorn Kostenlos Bücher Online Lesen
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vom Millsport-Archipel entfernt einzuholen. Ich ging an Deck und spazierte über den Steg des linken Auslegers, wo ich beobachtete, wie unter mir der Ozean aufgeschnitten wurde. Gischt im Wind und das Gefühl, dass die Ereignisse viel zu schnell auf mich zurasten, um sie verarbeiten zu können. Die Vergangenheit und ihre Totenfracht blieb in unserem Fahrwasser zurück und nahm Möglichkeiten und Lösungen mit, für die es nun zu spät war, um sie auszuprobieren.
    Angeblich waren Envoys darin besonders gut.
    Aus dem Nichts tauchte Virginia Vidauras elfenhaftes neues Gesicht vor mir auf. Aber diesmal war da keine Stimme in meinem Kopf, keine eingeprägte Ausbilder-Zuversicht. Wie es schien, hatte ich auch von diesem speziellen Geist keine Hilfe zu erwarten.
    »Was dagegen, wenn ich dir etwas Gesellschaft leiste?«
    Sie musste schreien, um sich im Rauschen des Windes und der vom Kiel aufgeschlitzten Wellen verständlich zu machen. Ich schaute nach rechts, zum Zentraldeck, wo sie sich am Eingang zum Steg festhielt, gekleidet in einen Overall und eine Jacke, die sie sich von Sierra Tres geborgt hatte. Die verkrampfte Haltung machte den Eindruck, als wäre sie krank und nicht sicher auf den Beinen. Der Wind wehte ihr das silbergraue Haar aus dem Gesicht, aber es wurde vom Gewicht der schwereren Strähnen unten gehalten, wie eine nasse Fahne. Ihre Augen waren dunkle Höhlen in der Blässe ihres Gesichts.
    »Noch so ein Gespenst.«
    »Klar. Warum nicht?«
    Sie kam auf den Steg heraus und zeigte mehr Kraft in ihren Bewegungen als in ihrem Standvermögen. Als sie mich erreichte, hatten sich ihre Lippen ironisch verzogen, und ihre Stimme klang fest im rauschenden Fahrtwind. Brasils Behandlung hatte die Wunde auf ihrer Wange zu einer verblassenden Linie schrumpfen lassen.
    »Also macht es dir nichts aus, dich mit einem Fragment zu unterhalten?«
    Einmal in einem Pornokonstrukt in Newpest hatte ich auf take einen völligen Absturz mit einer virtuellen Hure erlebt, bei einem – gescheiterten – Versuch, die Wunscherfüllungsprogrammierung des Systems zu knacken. Damals war ich noch sehr jung gewesen. Ein andermal, als ich nicht mehr so jung gewesen war, im Gefolge der Adoracion-Kampagne, hatte ich betrunken mit einer militärischen KI über verbotene Politik diskutiert. Und wieder ein andermal auf der Erde hatte ich mich mit einer Kopie von mir besoffen. Was letztendlich wahrscheinlich genau das war, worum es in all diesen Gesprächen gegangen war.
    »Interpretiere nicht zu viel hinein«, sagte ich zu ihr. »Ich unterhalte mich mit so ziemlich jedem.«
    Sie zögerte. »Ich erinnere mich an sehr viele Details.«
    Ich betrachtete das Meer. Sagte nichts.
    »Wir haben gefickt, nicht wahr?«
    Der Ozean, wie er unter mir vorbeirauschte. »Ja. Ein paarmal.«
    »Ich erinnere mich…« Wieder eine schwebende Pause. Sie wandte den Blick von mir ab. »Du hast mich gehalten. Während ich geschlafen habe.«
    »Ja.« Ich machte eine ungeduldige Geste. »Das alles ist in letzter Zeit geschehen, Nadia. Weiter kannst du dich nicht zurückerinnern?«
    »Es ist. Schwierig.« Sie erschauderte. »Da sind Flecken, Stellen, die ich nicht erreichen kann. Es fühlt sich an wie verschlossene Türen. Wie Zimmerfluchten in meinem Kopf.«
    Ja, das ist das Begrenzungssystem für eine Persönlichkeitshülle, hätte ich beinahe gesagt. Es soll dich vor einer Psychose bewahren.
    »Erinnerst du dich an jemanden namens Plex?«, fragte ich sie stattdessen.
    »Plex, ja. Aus Tekitomura.«
    »Was weißt du über ihn?«
    Ihr Gesichtsausdruck verschärfte sich plötzlich, als hätte ihr jemand unvermittelt von hinten eine Maske aufgesetzt.
    »Dass er ein billiger Yakuza-Plugin war. Mit falschen Scheiß-Aristo-Manieren und einer Seele, die er an die Gangster verkauft hat.«
    »Sehr poetisch. Aber die Aristo-Sache ist echt. Seine Familie hat einst Handel mit dem Hof getrieben. Sie ging pleite, als ihr damals euren revolutionären Krieg veranstaltet habt.«
    »Soll ich deswegen jetzt ein schlechtes Gewissen haben?«
    Ich zuckte die Achseln. »Ich stelle nur ein paar Fakten richtig.«
    »Weil du mir vor ein paar Tagen gesagt hast, dass ich nicht Nadia Makita bin. Jetzt willst du mir etwas vorwerfen, das sie vor dreihundert Jahren getan hat. Du solltest dich entscheiden, woran du glauben willst, Kovacs.«
    Ich sah sie von der Seite an. »Hast du mit den anderen geredet?«
    »Sie haben mir deinen richtigen Namen genannt, falls du das meinst. Und mir ein bisschen darüber

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