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Heiliger Zorn

Heiliger Zorn

Titel: Heiliger Zorn Kostenlos Bücher Online Lesen
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mir. Ihr Tonfall hatte sich von sachlich zu erschöpft verschoben, und als ich es hörte, hätte ich ihr beinahe geglaubt. Beinahe. Sie hielt sich mit beiden Händen am Geländer fest und schüttelte den Kopf. »Nichts von alledem war so geplant. Aber wir hatten keine Wahl. Wir mussten eine politische Veränderung bewirken, und zwar global. Gegen die massive Unterdrückung. Es war undenkbar, dass sie ihre Position kampflos aufgaben. Glaubst du, ich bin glücklich, dass es so gekommen ist?«
    »Dann«, sagte ich bedächtig, »hättet ihr besser planen sollen.«
    »Aha? So ein Pech, dass du damals nicht dabei warst.«
    Schweigen.
    Ich dachte für einen Moment, dass sie verschwinden würde, um sich politisch freundlicher gesonnene Gesellschaft zu suchen, aber sie tat es nicht. Die Erwiderung, die leise Verachtung, die darin gelegen hatte, fielen hinter uns zurück, und die Spiel mit dem Engelsfeuer flog weiter mit nahezu Flugzeuggeschwindigkeit über die gekräuselte Oberfläche des Meeres. Und trug, wie mir müde dämmerte, die Legende nach Hause zu den Gläubigen. Die Heldin der Geschichte. In ein paar Jahren würde man Lieder über dieses Schiff schreiben, über diese Reise nach Süden.
    Aber nicht über diese Unterhaltung.
    Zumindest das zauberte den Ansatz eines Lächelns in meine Mundwinkel.
    »Verrätst du mir, was du so verdammt witzig findest?«, sagte die Frau neben mir verärgert.
    Ich schüttelte den Kopf. »Ich habe mich nur gefragt, warum du dich lieber mit mir unterhältst, als bei deinen neoquellistischen Verehrern rumzuhängen.«
    »Vielleicht mag ich Herausforderungen. Vielleicht habe ich etwas gegen Chöre der Zustimmung.«
    »Dann wirst du in den nächsten paar Tagen sicher wenig Spaß haben.«
    Dazu sagte sie nichts. Aber der zweite Satz klang noch einige Zeit in meinem Kopf nach und erinnerte mich an etwas, das ich als Kind hatte lesen müssen. Es stammte aus den Kampf-Tagebüchern, ein hingekritzeltes Gedicht aus einer Zeit, als Quellcrist Falconer nur wenig Zeit für Poesie gefunden hatte, ein Text, der mit krasser Weinerlichkeit von einer schlechten Schauspielerstimme und einem Schulsystem wiedergegeben wurde, das die Siedlerkriege als bedauernswerten und vermeidbaren Fehler begraben wollte. Quell erkennt ihren Irrtum, doch sie kann nur noch die Unausweichlichkeit beklagen:
     
Sie kommen zu mir mit
›Fortschrittsberichten‹
Aber ich sehe nur Veränderung und verbrannte Leichen;
Sie kommen zu mir mit
›Erfolgsprotokollen‹
Aber ich sehe nur Blut und verlorene Chancen;
Sie kommen zu mir mit
Chören der Scheiß-Zustimmung zu allem, was ich tue
Aber ich sehe nur die Kosten.
     
    Viel später, in meiner Zeit bei den Newpest-Gangs, fiel mir eine Schwarzkopie des Originals in die Hände, von Quell persönlich in ein Mikro gesprochen, ein paar Tage vor dem letzten Angriff auf Millsport. In der toten Erschöpfung dieser Stimme hörte ich jede Träne, die die Schulversion mit billigen Emotionen aus uns herauszuholen versucht hatte, aber darunter lag etwas noch viel Tieferes und Mächtigeres. Dort in jener hastig aufgeblasenen Ballonkammer irgendwo im äußeren Archipel, umgeben von Soldaten, die in den nächsten Tagen mit hoher Wahrscheinlichkeit den realen Tod oder Schlimmeres an ihrer Seite erfahren würden, hatte Quellcrist Falconer die Kosten keineswegs von sich gewiesen. Sie hatte draufgebissen wie auf einen gebrochenen Zahn und ihn tief ins Fleisch getrieben, damit sie sie niemals vergaß. Damit niemand anderer sie jemals vergaß. Damit keine blödsinnigen Balladen oder Hymnen über die ruhmreiche Revolution geschrieben wurden, wie auch immer sie ausgehen mochte.
    »Also erzähl mir vom Qualgrist-Protokoll«, sagte ich nach einer Weile. »Diese Waffe, die du an die Yakuza verkauft hast.«
    Sie zuckte. Sah mich nicht an. »Du weißt davon?«
    »Das habe ich aus Plex herausgeholt. Aber er konnte mir keine genaueren Einzelheiten nennen. Du hast irgendetwas aktiviert, das die Mitglieder der Harlan-Familie tötet, nicht wahr?«
    Sie starrte eine Weile hinunter aufs Wasser.
    »Ich müsste vieles als selbstverständlich hinnehmen«, sagte sie langsam, »wenn ich glauben soll, dass ich es dir anvertrauen kann.«
    »Wieso? Lässt es sich rückgängig machen?«
    Sie wurde plötzlich sehr still.
    »Ich glaube nicht.« Ich musste mich anstrengen, um ihre Worte im Wind zu verstehen. »Ich habe sie im Glauben gelassen, es sei ein Tötungscode, damit sie mich am Leben lassen, weil sie dann versuchen würden,

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