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Heiliger Zorn

Heiliger Zorn

Titel: Heiliger Zorn Kostenlos Bücher Online Lesen
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verfolge dich schon seit fast einem Monat.«

 
41
     
     
    »Du solltest doch eigentlich tot sein!«
    »Ja, und zwar schon zweimal.« Jad zupfte missmutig an dem falschen Bart, den sie in den Händen hielt. Wir saßen zusammen am billigen Plastiktisch, ohne uns anzusehen. »Der einzige Grund, warum ich noch hier bin, schätze ich. Sie haben nicht nach mir gesucht, als sie die anderen geholt haben.«
    Ich sah wieder Drava vor mir, als sie davon erzählte – der Blick mit dem geistigen Auge auf wirbelnden Schnee vor nächtlichem Schwarz, gefrorene Sternbilder aus Lagerlichtern und gelegentlichen Gestalten, die sich zwischen den Gebäuden bewegten, sich gegen das Wetter zusammenkauerten. Sie waren am folgenden Abend gekommen. Unangekündigt. Es war nicht klar, ob Kurumaya gekauft, durch eine höhere Autorität bedroht oder einfach nur ermordet worden war. Hinter der kanalisierten Macht von Antons Kommandosoftware auf maximaler Priorität hatten Kovacs und seine Leute Sylvies Team durch Netzsignaturen lokalisiert. Sie hatten Türen eingetreten und Gehorsam gefordert.
    Offenbar war man dieser Aufforderung nicht gefolgt.
    »Ich habe gesehen, wie Orr jemanden erledigt hat«, fuhr Jad fort. Sie sprach mechanisch, als sie ihre Erinnerungen aufrief. »Nur den Blitz. Er schrie, dass alle abhauen sollten. Ich hatte Getränke aus der Bar geholt. Ich habe nicht mal…«
    Sie hielt inne.
    »Schon gut«, sagte ich zur ihr.
    »Nein, nichts ist gut, Micky. Ich bin weggelaufen.«
    »Du wärst jetzt tot, wenn du es nicht getan hättest. Real tot.«
    »Ich habe Kiyoka schreien gehört.« Sie schluckte. »Ich wusste, dass es zu spät war, aber ich…«
    Darüber ging ich einfach hinweg. »Hat dich irgendjemand gesehen?«
    Ein ruckhaftes Nicken. »Hatte einen kurzen Schusswechsel mit ihnen, als ich zu den Fahrzeugschuppen lief. Die Scheißer waren überall, wie es schien. Aber sie sind mir nicht gefolgt. Ich glaube, sie haben mich für einen aufgebrachten Zaungast gehalten.« Sie deutete auf den Eishundo-Sleeve, den sie trug. »Keine Spur bei der Netzsuche. Für den Arsch Anton war ich einfach unsichtbar.«
    Sie hatte sich eine der Dracul-Gondeln geschnappt, sie angeworfen und war vom Dock fortgerast.
    »Hatte einen kleinen Streit mit den Autosubsystemen, als ich auf die Mündung rausfahren wollte«, sagte sie und lachte humorlos. »Eigentlich geht das nicht, ein Fahrzeug ohne Genehmigung ins Wasser zu steuern. Aber mit der Freischaltung hat es dann doch funktioniert.«
    Und hinaus aufs Andrassy-Meer.
    Ich nickte mechanisch in exakter Umkehrung meiner Fassungslosigkeit. Sie war mit der Gondel ohne Pause fast tausend Kilometer weit nach Tekitomura zurückgefahren, wo sie des Nachts still und heimlich in einer kleinen Bucht außerhalb der Stadt im Osten gelandet war.
    Sie tat es mit einem Achselzucken ab.
    »Ich hatte Wasser und Lebensmittel in den Satteltaschen dabei. Meth, um wach zu bleiben. Der Dracul hat ein Nuhanovic-Navigationssystem. Meine Hauptsorge war, niedrig genug zu bleiben, um nicht wie ein Fluggefährt, sondern wie ein Boot auszusehen, damit ich nicht das Engelsfeuer heraufbeschwor.«
    »Und wie hast du mich gefunden?«
    »Tja, das ist eine ziemlich verrückte Scheiße.« Zum ersten Mal schwang etwas in ihrer Stimme mit, das nicht Erschöpfung und abgestandene Wut war. »Ich habe die Gondel am Soroban-Hafen verkauft, um an Bargeld zu kommen, dann bin ich zu Fuß nach Kompcho gewandert. Und langsam vom Meth runtergekommen. Und es war, als würde ich dich riechen oder so. Wie der Geruch dieser alten Familienhängematte, die wir hatten, als ich noch ein Kind war. Ich folgte ihm einfach, während ich wie gesagt runterkam und nur auf Autopilot lief. Ich habe dich am Kai gesehen, wie du an Bord dieses beschissenen Frachters gegangen bist, der Tochter des Haiduci.«
    Wieder nickte ich, diesmal im plötzlichen Begreifen, als sich große Puzzleteile zusammenfanden. Das schwindelerregende, ungewohnte Familiengefühl überkam mich erneut. Wir waren schließlich Zwillinge. Eng verwandte Nachkömmlinge des ausgestorbenen Hauses Eishundo.
    »Dann bist du als blinder Passagier mitgefahren. Du hast versucht, in diesen Frachtcontainer zu gelangen, als der Sturm losbrach.«
    Sie verzog das Gesicht. »Ja, auf dem Deck herumkriechen ist okay, solange die Sonne scheint. Aber es macht keinen Spaß mehr, wenn ein Sturm im Anzug ist. Ich hätte mir denken können, dass der Kasten bis zum Arsch mit Alarmanlagen gesichert ist.

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