Heiliger Zorn
aus der Netzschleife geschnitten…«
»Was dir das Leben gerettet hat.«
Sie schüttelte ungeduldig den kahl geschorenen Kopf. »Es hat mich davon abgehalten, mit den anderen zu fühlen, Mickey. Es hat mich ausgeschlossen. Es hat sogar alles mit Ki verändert, weißt du. Während des letzten Monats haben wir nicht mehr dasselbe füreinander empfunden.«
»Das ist ziemlich normal bei einem Resleeving. Die Menschen lernen…«
»Ja, klar. Ich weiß.« Nun wandte sie sich von ihrem Bild ab und starrte mich an. »Eine Beziehung ist nicht einfach, eine Beziehung ist harte Arbeit. Wir beide haben es versucht, viel intensiver als je zuvor. Viel intensiver als es je zuvor nötig gewesen war. Das ist das Problem. Vorher war es gar nicht nötig gewesen. Manchmal wurde ich schon feucht, wenn ich sie nur ansah. Mehr haben wir beide nicht gebraucht, eine Berührung, einen Blick. Damit war alles klar.«
Ich sagte nichts. Es gab Momente, in denen es nichts Sinnvolles gab, was man sagen konnte. Man konnte nur zuhören, abwarten und beobachten, wie diese Dinge zutage traten. Und hoffen, dass dadurch alles klarer wurde.
»Als ich sie schreien hörte«, sagte Jad, was ihr nicht leicht fiel, »war es, als würde es gar keine Rolle spielen. Ich habe es nicht stark genug empfunden, um zu bleiben und zu kämpfen. In meinem eigenen Körper wäre ich geblieben, um zu kämpfen.«
»Geblieben, um zu sterben, meinst du.«
Ein sorgloses Achselzucken, wie ein Wegwischen von Tränen.
»Das ist Blödsinn, Jad. Aus dir redet die Schuld der Überlebenden. Du willst es dir einreden, aber es gibt nichts, was du hättest tun können, und das weißt du.«
Als sie mich daraufhin ansah, weinte sie. Stumme Tränenspuren und eine verschmierte Grimasse.
»Was, zum Teufel, weißt du davon, Micky? Es war nur eine andere Scheißversion von dir, die uns das angetan hat. Du bist ein gnadenloser Vernichter, ein ausgebrannter Ex-Envoy. Du warst niemals ein DeCom. Du hast nie zu uns gehört, du weißt überhaupt nicht, wie es war, ein Teil davon zu sein. Wie nahe wir uns waren. Du weißt nicht, wie es ist, so etwas zu verlieren.«
Für einen kurzen Moment flüchtete mein Geist zurück zum Corps und Virginia Vidaura. Zum Zorn nach Innenin. Es war das letzte Mal gewesen, dass ich zu etwas gehört hatte, und es war über ein Jahrhundert her. Ich hatte anschließend immer wieder das Zucken einer ähnlichen Verbundenheit verspürt, das Nachwachsen neuer Kameradschaft und ein gemeinsames Ziel – und ich hatte es jedes Mal mit den Wurzeln herausgerissen.
Diese Scheiße bringt einen um. Wenn man sich daran gewöhnt.
»Also«, sagte ich mit brutaler Beiläufigkeit. »Jetzt hast du mich also aufgespürt. Jetzt weißt du Bescheid. Was willst du jetzt damit machen?«
Sie wischte sich die Tränen aus dem Gesicht, mit so heftigen Handbewegungen, dass es beinahe Schläge waren.
»Ich will sie sehen«, sagte sie.
42
Jad hatte einen kleinen ramponierten Skimmer, den sie in Kem Point gemietet hatte. Er parkte unter greller Sicherheitsbeleuchtung an einer Mietrampe auf der Rückseite der Pension. Wir gingen hinaus, begleitet von einem fröhlichen Winken des Mädchens an der Rezeption. Sie schien eine rührende Begeisterung für ihre Beteiligung an unserem erfolgreichen Wiedersehen zu empfinden. Jad decodierte die Schlösser am Schiebedach, stieg hinter die Kontrollen und brachte uns schnell in die Dunkelheit der Tang-Lagune hinaus. Als das Schimmern der Lichter vom Strip hinter uns verblasste, riss sie sich wieder den Bart ab und überließ mir das Ruder, während sie ihre Gewänder auszog.
»Ach ja, warum hast du dich überhaupt so verhüllt?«, fragte ich sie. »Welchen Zweck hat dieser Aufzug?«
Sie zuckte die Achseln. »Tarnung. Ich dachte mir, dass zumindest die Yak nach mir suchen würden, und ich wusste immer noch nicht, was du eigentlich vorhattest, für wen du spielst. Also war es besser, verhüllt zu bleiben. Überall, wo man hinkommt, werden die Bärte von den Leuten meistens in Ruhe gelassen.«
»Aha?«
»Ja, sogar von den Bullen.« Sie zog sich das Obergewand über den Kopf. »Religion ist schon eine komische Sache. Niemand will mit einem Priester reden.«
»Vor allem nicht mit solchen, die dich zu einem Feind Gottes erklären, wenn du mit der falschen Frisur herumläufst.«
»Ja, das wahrscheinlich auch. Ich hatte einen Kramladen in Kem Point gefunden, der mir dieses Zeug geschneidert hat, und ihnen gesagt, es wäre für eine
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