Heiliger Zorn
Rapsodia und griff mit beiden Händen nach der Kante der Grube. Der Steg polterte unter mir in die Tiefe. Meine Handflächen klammerten sich an regennassem Beton fest. Eine Hand rutschte ab. Die Gekko-Haftung der anderen bewahrte mich vor dem Absturz. Irgendwo unter mir schlug der Sumpfpanther die Krallen in die Metallkonstruktion. Funken stoben, und er wich mit kreischendem Gebrüll zurück. Ich suchte mit der anderen Hand nach einem neuen Halt.
Segesvars Kopf tauchte über der Grubenwand auf. Er war blass, und Blut sickerte durch den rechten Ärmel seiner Jacke, aber er grinste, als er mich sah.
»Na, so eine verdammte Überraschung«, sagte er, beinahe im Plauderton. »Mein beschissener alter selbstgerechter Freund Takeshi Kovacs.«
Verzweifelt wuchtete ich mich seitwärts hinauf. Konnte einen Fuß über die Kante schwingen. Segesvar sah es und humpelte näher heran.
»Nein, so läuft das nicht«, sagte er und trat meinen Fuß weg. Ich schwang mich erneut herum und konnte mich nur mühsam mit beiden Händen festhalten. Er stand über mir und starrte eine Weile herunter. Dann blickte er über die Arenen und nickte mit unbestimmter Zufriedenheit. Der Regen prasselte um uns herum nieder.
»Also kann ich jetzt ausnahmsweise mal auf dich herabschauen.«
Ich keuchte. »Ach, verpiss dich!«
»Du weißt, dass der Panther da unten einer von deinen religiösen Freunden sein könnte. Das hat eine gewisse Ironie, nicht wahr?«
»Bring es einfach zu Ende, Rad. Du bist ein beschissener Verräter, und nichts, was du hier tun wirst, kann das Gegenteil beweisen.«
»Völlig richtig, Takeshi. Zieh dich auf den überlegenen moralischen Standpunkt zurück.« Sein Gesicht verzerrte sich, und für einen Moment dachte ich, er würde jetzt meine Hände von der Kante treten. »Wie du es schon immer gemacht hast. Ach, Radul ist nur ein Scheißkrimineller, Radul kriegt selber nichts auf die Reihe, ich musste Radul schon mal das Leben retten. Du hast es getan, seit du mir Yvonna abgeluchst hast, und du wirst dich niemals ändern, Scheiße!«
Ich blickte durch den Regen zu ihm hinauf und hatte den Abgrund unter mir beinahe vergessen. Spuckte Wasser aus, als mir der offene Mund voll gelaufen war.
»Wovon, zum Teufel, redest du?«
»Du weißt verdammt genau, wovon ich rede! In jenem Sommer im Watanabe, Yvonna Vasarely, die mit den grünen Augen.«
Erinnerungen flackerten auf, als der Name fiel. Das Hirata-Riff, die langbeinige Silhouette über mir. Ein meerfeuchter, nach Salz schmeckender Körper auf nassen Gummianzügen.
Halt dich gut fest.
»Ich.« Ich schüttelte benommen den Kopf. »Ich dachte, sie hieß Eva.«
»Scheiße, siehst du?« Es quoll wie Eiter aus ihm hervor, wie Gift, das er viel zu lange in sich gehabt hatte. Sein Gesicht verzerrte sich vor Wut. »Sie war dir scheißegal, für dich war sie nur irgendein namenloser Fick!«
Für einen langen Moment schwappte meine Vergangenheit wie Brandung über mich hinweg. Der Eishundo-Sleeve übernahm, während ich in einem hellen Tunnel aus kaleidoskopartigen Bildern aus jenem Sommer hing. Auf der Terrasse im Watanabe. Die Hitze, die von einem bleiernen Himmel herabdrückte. Eine dürftige Brise über der Lagune, nicht genug, um die schweren Spiegel des Mobiles zu bewegen. Die Haut schweißnass unter der Kleidung, mit Perlen besetzt, wo sie freilag. Träge Gespräche und Lachen, das bittere Aroma von Seehanf in der Luft. Das grünäugige Mädchen.
»Das ist zweihundert verdammte Jahre her, Rad. Und du hast die meiste Zeit nicht mal mit ihr geredet. Du hast dir Meth aus Malgazorta Bukovskis Arschspalte in die Nase gezogen, wie immer, verdammt.«
»Ich wusste nicht, wie. Sie war so.« Er blickte auf. »Scheiße, sie hat mir was bedeutet, du Drecksack!«
Zuerst konnte ich den Laut gar nicht identifizieren, der aus mir kam. Es hätte auch ein unterdrücktes Husten sein können, den mir der Regen verursachte, der mir jedes Mal in die Kehle drang, wenn ich den Mund aufmachte. Es fühlte sich fast wie ein Schluchzen an, als würde sich in mir etwas Schwerfälliges lösen. Ein Rückstand, ein Verlust.
Aber das war es nicht.
Es war Gelächter.
Nach dem ersten prustenden Husten stieg es in mir auf wie Wärme, wie das Bedürfnis nach mehr Platz in meiner Brust, wie etwas, das hinauswollte. Es blies mir das Wasser aus dem Mund, und ich konnte es nicht mehr zurückhalten.
»Hör auf zu lachen, du Scheißer!«
Ich konnte nicht aufhören. Mit der unerwarteten Heiterkeit strömte
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