Heiliges Feuer
nachzuahmen, als den Versuch zu unternehmen, den faschistischen Mussolini zu übertreffen - noch dazu mit billigen Materialien.«
Maya hingegen gefiel das Bauwerk. Ihm fehlte die unkrautüberwucherte steinerne Authentizität der echten römischen Ruinen, doch es wirkte transzendental-funktional und besaß die unfreiwillige Anmut eines gut designten Fotokopierers.
Sie betraten das Gebäude, loggten sich ein und stießen auf dreihundert Personen, die im Begriff waren, sich dem Essen zuzuwenden, das von Krabben serviert wurde.
So viele Alte. Maya zeigte sich beeindruckt von der monumentalen Feierlichkeit der Anwesenden, vom erstaunlichen Umstand, dass diese plappernde Schar manikürter und äußerst geschmackvoll gekleideter Menschen so viel älter war als das Gebäude, das sie beherbergte.
Das war die europäische High Society. Menschen, die sich die Zeit unterworfen hatten und mit ihren hinter Cyberbrillen verborgenen, wissenden Augen den Eindruck machten, als könnten sie durch massiven Fels hindurchblicken. Als Veteranen der europäischen Couture hatten sie sich die Essenz der neophilen Vergänglichkeit angeeignet und sie wie ein Leichenhemd um sich herum konserviert. Sie waren ebenso bezaubernd wie die pharaonischen Grabgemälde.
Novak setzte seine Brille auf, dann bahnte er sich energisch einen Weg zu seinem Platz, wobei er sich von irgendwelchen an die Brille fernübertragenen Hinweisen leiten ließ. Novak und Maya nahmen nebeneinander an einem kleinen, runden Tisch mit einer cremefarbenen leinenen Tischdecke Platz, der umringt war von Polsterstühlen.
»Guten Abend, Josef«, sagte der Mann, der Novak gegenübersaß.
»Hallo, Daizaburo, alter Kollege. Es ist lange her.«
Daizaburo musterte Maya über den Rand seiner teuren Brille hinweg mit dem distanzierten, kühlen Interesse eines Schmetterlingskundlers. »Sie ist hübsch. Wo hast du bloß dieses Kleid aufgetrieben?«
»Das erste Original von Vietti, das ich fotografiert habe«, sagte Novak.
»Es erstaunt mich, dass Vietti dieses Exemplar überhaupt noch auf Lager hat.«
»Giancarlo hat es vielleicht aus seinem Speicher gelöscht. Meiner hat eine höhere Kapazität.«
»Giancarlo war damals noch so jung«, sagte Daizaburo. »Wir trinken Wasser. Möchtest du auch eins?«
»Warum nicht?«, meinte Novak.
Daizaburo winkte eine Krabbe herbei. Sie sprach ihn auf Japanisch an. »Englisch, bitte«, sagte Daizaburo.
»Antarktisches Gletscherwasser«, sagte die Krabbe. »Aus tiefen Ablagerungen aus der Zeit des Pleistozän. Völlig unverschmutzt, unberührt seit der Entstehung des Menschen. Vollkommen rein.«
»Eine reizender Einfall«, meinte Novak. »Das sieht Vietti ähnlich.«
»Wir haben auch Mondwasser«, sagte die Krabbe. »Mit sehr interessanten isotopischen Eigenschaften.«
»Hast du schon einmal Mondwasser getrunken, meine Liebe?«
Maya schüttelte den Kopf.
Novak bestellte Mondwasser.
Eine zweite Krabbe brachte ein vakuumisoliertes Gefäß. Mit ihren funkelnden Zangen kippte sie zwei winzige, dampfende blaue Eiswürfel in Brandygläser.
»Wasser ist das perfekte soziale Vergnügen«, meinte Daizaburo, als sich die Krabben entfernten. »Wir können dem animalischen Akt der Flüssigkeitsaufnahme vielleicht nicht alle etwas abgewinnen, teilen aber gewiss die unbeschreibliche Freude, Eis beim Schmelzen zuzusehen.«
Die andere Frau an ihrem kleinen Tisch beugte sich vor. Sie war klein, verschrumpelt und beinahe kahl, eine Person unbestimmter ethnischer Herkunft mit einem gewaltigen schwarzen Hut auf dem Kopf. »Es stammt von einem Kometen vom Rande des Universums«, lispelte sie lebhaft. »Es war sechs Milliarden Jahre gefroren. Hat niemals die Wärme des Lebens kennengelernt - bis jetzt, da wir es trinken.«
Novak hob sein Glas und schwenkte es, sein zerfurchtes Bauerngesicht strahlte erwartungsvoll. »Es wundert mich, dass es noch genug Lunarier gibt, um Mondeis abzubauen.«
»Dort oben gibt es noch siebzehn Überlebende. Schade, dass sie sich alle gegenseitig hassen.« Daizaburo ließ ein eisiges Lächeln aufblitzen.
»Kosmische Rebellen, kosmische Visionäre«, sagte Novak und schnupperte vorsichtig am Glas. »Arme Kerle, sie haben die existenziellen Schwierigkeiten eines Lebens ohne Überlieferung erfahren müssen.«
Maya musterte die Leute an den anderen kleinen Tischen, und auf einmal machte es bei ihr Klick. Sie fing an, die Behandlungsmethoden zu katalogisieren. All diese alten Menschen und ihre alten Techniken. Faltenentfernung,
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