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Heiliges Feuer

Heiliges Feuer

Titel: Heiliges Feuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Sterling
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Schar von Mitarbeitern. Vietti trug seine Version von Arbeitskleidung: ein seehundschwarzes, irgendwie pelzig wirkendes Teil mit vielen Taschen, zu dem Luftflaschen hervorragend gepasst hätten. Er ging gerade den Ablauf der Show auf einem regenbogenfarbenen Paar flatternder, an seinen Handgelenken befestigter Displayfächer durch.
    »Josef, wie schön, dass du gekommen bist«, sagte Vietti auf englisch. Er war groß und breitschultrig, hatte ein kantiges Kinn und gehörte zu den wenigen Anwesenden, die es verschmähten, eine Cyberbrille zu tragen. Man sah sogleich, dass Vietti einmal sehr attraktiv gewesen war. Viele Jahre und viele Schmerzen lagen hinter ihm. Nun strahlte er die ein wenig düstere Würde des römischen Colosseums aus - wenngleich Giancarlo Vietti nicht aus Rom, sondern aus Mailand stammte.
    Vietti musterte Maya mit dem gleichen abwesenden, nachsichtigen Blick wie seine gehorsamen Störche. Plötzlich weiteten sich seine blassblauen Augen. Schließlich ließ er seine Keramikzähne aufblitzen. »Aber, Josef. Die ist ja ganz reizend! Du alter Gauner. Also wirklich, das hättest du nicht tun sollen.«
    »Dann erinnerst du dich also noch.«
    »Hast du etwa gedacht, ich hätte meine erste Kollektion vergessen? Das wäre ja, als könnte ich mich nicht mehr an meine erste Operation erinnern.« Vietti musterte Maya; offenbar faszinierte sie ihn. »Wo hast du sie aufgetrieben?«
    »Das ist meine neue Schülerin.«
    Vietti berührte Mayas Kinn ganz sachte mit einer schwarz behandschuhten Fingerspitze. Er zupfte an einer Strähne ihrer Perücke und glättete rasch die Schulternaht. Er lachte verzückt.
    Nach etwa zehn Sekunden herzhaften Gelächters überzogen sich Viettis Wangen mit roten Flecken, und unter dem Anzug kamen seltsame Gurgelgeräusche hervor. Vietti fasste sich mit der Linken an die Hüfte, zuckte zusammen und fummelte an den verborgenen Schaltern seines lebenserhaltenden Apparats herum. Anschließend sah er auf den Cyberfächer und tippte die Membran mit der Fingerspitze an.
    »Lassen wir sie heute Abend auf den Laufsteg raus«, sagte er. »Eine Präsentation in Rom verläuft sowieso immer chaotisch. Und das ist wirklich hübsch.«
    »Das kannst du nicht machen, Giancarlo. Das Kleid ist aus Plastik, das ist eine Kopie.«
    »Ich weiß, du hast dir einen Scherz mit mir erlaubt, aber das kriegen wir schon hin. Kann sie laufen?«
    »Ein wenig.«
    »Sie ist noch sehr jung, man wird ihr nachsehen, wenn sie nicht laufen kann.« Vietti sah Maya erwartungsvoll an. »Wie heißt du?«
    »Maya.«
    »Kleine Maya, ich habe hier eine tolle Mannschaft. Ich würde dich ihr gern anvertrauen. Kannst du vor all den Wichtigtuern laufen? Sie sind schrecklich alt, tragen alle diese blöden Brillen und haben zu viel Geld.« Vietti zwinkerte ihr zu, eine unbeholfene kameradschaftliche Geste über den Abgrund eines Jahrhunderts hinweg.
    »Klar kann ich das.« Voller Optimismus und Zuversicht.
    Vietti blickte sie mit seinen klaren Augen an. »Noch was, Josef - ein paar Fotos für mich. Für meinen kleinen Winkel im Netz.«
    »Ach, das geht nicht«, sagte Novak. »Ich habe meine Ausrüstung nicht dabei.«
    »Josef, um der alten Zeiten willen. Du kannst Madrackis Ausrüstung benutzen, Madracki ist ein Poseur, ein Idiot, außerdem schuldet er mir noch einen Gefallen.«
    »Ich bin ganz aus der Übung. Wirklich, in letzter Zeit brauche ich schon meine ganzen Kräfte, um eine Eierschale oder ein Spinnennetz zu fotografieren ...«
    »Josef, wo du dir so viel Mühe mit ihrem Kleid gemacht hast! Zier dich nicht. Das Gesicht ist furchtbar, das stimmt, dieses Klein-Mädchen-Make-up, lebendiger Kitsch für Kinder, aber das kriegen wir schon hin. Und die Perücke ist eine Katastrophe ... Aber sie ist so sexy, Josef! In den Zwanzigern waren alle so sexy. Selbst ich war damals sexy.« Vietti seufzte wehmütig. »Weißt du noch, wie sexy ich damals war?«
    »In deiner Jugend waren sogar der Mond und die Sterne sexy.«
    »Aber die Leute sind in den Zwanzigern so jung gestorben, deshalb waren sie sexy und alles andere auch. Sogar Aids war in den Zwanzigern sexy. In dieser ganzen Kollektion habe ich kein einziges sexy Model, dein kleines Mädchen wäre die einzige sexy Erscheinung heute Abend, das wäre doch ein Spaß. Barbara wird sich drum kümmern.« Vietti klappte die Fächer zu und klatschte in die Hände. »Barbara!«
    »Du hast Glück«, wandte Novak sich leise an Maya. »Er ist entschlossen, dich zu mögen. Enttäusche uns

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