Heiliges Feuer
Erregung. Ein weißer Kranich sprang auf den Laufsteg, bemerkte sogleich seinen Fehler und hüpfte auf seinen dünnen Beinen und mit schlagenden schneeweißen Schwingen ins Publikum. Vor dem Vorhang zögerte Maya kurz, dann wirbelte sie herum und warf dem Publikum eine Kusshand zu. Ein Blitzlichtgewitter war die Antwort.
Als sie hinter dem Vorhang angekommen war, prickelten ihr die zitternden Glieder. In einem Winkel entdeckte sie einen Hocker, setzte sich darauf und rang nach Luft. Der Applaus dauerte noch immer an. Dann wechselte die Musik, und ein anderes Model glitt wie ein Engel auf Laufrollen an ihr vorbei.
Novak kam hinzu. Er lachte.
»Was bist du doch für ein tapferes Mädchen. Du machst Nägel mit Köpfen, was?«
»Wie war ich?«
»Hervorragend! Du hast so glücklich und verrucht gewirkt, wie ein kleines, verdorbenes Kind. Das hast du gut gemacht, das hat gut gepasst.«
»Ob Giancarlo mit mir zufrieden ist?«
»Keine Ahnung. Wahrscheinlich meint er, du hättest zu dick aufgetragen, und hält dich jetzt für ganz durchtrieben. Aber keine Bange, damit ist der Abend für uns gelaufen.« Novak kicherte. So glücklich hatte sie Novak noch nicht erlebt; er glich einem Billardspieler, dem mit einem Gummiqueue ein Trick gelungen ist. »Giancarlo wird schon kommen, sobald er hört, wie sie über dich reden. In dieser Hinsicht ist Giancarlo sehr schlau. Er urteilt erst, wenn er sich vergewissert hat, wie das Publikum reagiert.«
Mayas Begeisterungstaumel ließ allmählich nach. Die reale Welt kam ihr auf einmal so fad vor. Alltäglich, langweilig, flach. »Ich habe mein Bestes gegeben.«
»Aber ja doch, ja«, tröstete er sie. »Nicht weinen, Schätzchen, es ist ja alles gut. Es war nett für uns, so anders. Man heuert Profis an, damit sie richtig laufen, aber du warst so ernsthaft, das kann man nicht kaufen.« Novak fasste sie beim Ellbogen und geleitete sie zu einem Wasserspender. Er füllte einen Becher mit kristallklarem Destillat und reichte ihn ihr. »Wirklich bemerkenswert«, meinte er. »Du kannst ein Kleid natürlich nicht richtig zur Geltung bringen, denn du bist schließlich eine blutige Anfängerin. Aber du hast es drauf! Dir zuzusehen, das war, als schaute man sich ein historisches Video an. Ein Yankeemädchen aus den Zwanzigern, in zu engen Schuhen, so rührend stolz auf ihr wunderschönes Kleid. Ein Deja vu, ein mono no aware! Es war unheimlich.«
Maya wischte sich die Augen trocken und rang sich ein Lächeln ab. »Ach, jetzt hab ich Philippes wundervolles Augenmake-up ruiniert.«
»Nein, nein, mach dir keine Vorwürfe.« Novak rieb sich nachdenklich das Kinn. »Maya, wir machen jetzt eine richtige Fotosession. Du und ich. Wir ziehen Philippe hinzu, die Kosten berechnen wir. Wenn du im Auftrag von Giancarlo arbeitest, dann ist es nur angemessen, ihm ein paar richtig teure Leute in Rechnung zu stellen ...«
»Ich sollte mich vielleicht bei Giancarlo bedanken. Was meinen Sie? Er hat mir einen Riesengefallen damit getan, mich auf den Laufsteg zu lassen. Ich meine, neben all den Profis ... Und sie waren so nett zu mir, überhaupt nicht eifersüchtig.«
»Das sind alte Hasen. Du bist viel zu jung, um ihre Eifersucht zu wecken. Bei unserem Freund Giancarlo kannst du dich übers Netz bedanken. Es ist besser, wenn wir jetzt gehen.« Novak lächelte. »Du hast sie verprügelt, Schätzchen, du hast sie verprügelt wie kranke alte Hunde. Wir gehen jetzt. Es ist besser, man geht, solange sie nach mehr verlangen.«
»Also, dann ziehe ich mich jetzt um.«
»Behalt das Kleid an. Es gehört dir. Sie waren in Eile, deshalb haben sie’s ruiniert.«
»Dann sollte ich wenigstens diese unglaubliche Perücke zurückgeben.«
»Nimm die Perücke mit, die behalten wir. Dann rufen sie uns auch bestimmt an.«
Maya schaffte es, die engen Schuhe auszuziehen. Als sie aus der Garderobe kam, fuchtelte Novak mit seinem Arm in der Luft herum, als wehre er einen Mückenschwarm ab. Doch er war nicht verrückt geworden, er bediente bloß die Menüs seiner Brille. Er bestellte ein Taxi.
Novak bugsierte sie energisch an einer Handvoll Gratulanten vorbei. Die Profis wirkten auf ihre steife, unnahbare Art erfreut und amüsiert. Sie verließen das Amphitheater über einen Hinterausgang. Draußen war es so kalt, dass ihr Atem kondensierte. Mayas Schweiß verdampfte von den nackten Schultern in die römische Nacht. Sie fröstelte.
Als sie um die Ecke des Kio bogen, wurden sie von den Paparazzi entdeckt. Sie eilten herbei und
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