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Heiliges Feuer

Heiliges Feuer

Titel: Heiliges Feuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Sterling
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Risikos]«, sagte das eine Model auf italienisch. »[Es werden sechs Komma fünf Prozent Rendite ausgezahlt.]«
    »[Ich bin mir nicht sicher, ob der Zeitpunkt für medizinisch orientierte Investmentfonds günstig ist]«, entgegnete ein anderes Model. »[Außerdem bin ich katholisch.]«
    »[Es verlangt ja niemand von dir, dass du dich einer Behandlung von der schwarzen Liste unterziehst, du sollst ja bloß in sie investieren]«, meinte das erste Model geduldig. Sie strahlte eine tiefe, spirituelle, unnahbare Schönheit aus; sie ähnelte einer Figur aus Botticellis Primavera: »[Red mal mit einem Banker vom Vatikan, Schätzchen. Die sind sehr simpatico und stets auf dem Laufenden.]«
    Das zweite Model musterte Maya überrascht, dann sah sie auf die Uhr. »[Wann bist du dran?]«
    Maya fasste sich erst ans Collier und dann ans Ohr. »Tut mir Leid, ich spreche kein Italienisch.«
    »Die Diamanten passen so gut zu deinem altmodischen Kleid, ich liebe Diamanten«, meinte das zweite Model in stockendem, aber sympathischem Englisch. »Aber das Haar - das ist nicht so gut. Das ist smartes Haar, das passt nicht zu den Zwanzigern.«
    »Du bist sehr sexy«, erklärte das erste Model höflich.
    »Molte grazie«, erwiderte Maya zögernd.
    »Es sollte mehr Mode für sexy Frauen geben, es ist jammerschade, dass sexy Frauen kein Geld haben«, meinte das erste Model. »Als ich jung und sexy war, habe ich viel Geld verdient. Aber jetzt haben es die jungen Mädchen schwer, Sex lässt sich nur schwer verkaufen. Das ist ausgesprochen ungerecht.«
    Draußen kam die Show allmählich auf Touren; hin und wieder ertönte Applaus. Man brachte Maya Viettis Kleid, das noch ganz warm war. Dieses Kleid passte besser als Novaks billigere Version. Plötzlich sah sich Maya nackt und zitternd den gleichgültigen Blicken und kundigen Händen zweier Männer und dreier Frauen ausgesetzt. Sie schlitzten das Kleid mit rasiermesserscharfen Keramikscheren auf und pinselten rasch einziehendes Klebemittel auf Mayas Gänsehaut. Im Handumdrehen hatte man sie in das Kleid gezwängt, anschließend quetschte man ihre Füße in zwei Nummern zu kleine Pumps. Dann ging es in einer Traube nervöser Aufpasser zur Tür hinaus. Philippe lief neben ihr her und besserte ihr Make-up aus, während sie auf das Zeichen zum Auftritt wartete.
    Als der Moment gekommen war, trat sie hinter dem Vorhang hervor und schritt so einher, wie man es ihr gezeigt hatte. Die Scheinwerfer, welche den Laufsteg beleuchteten, waren so hell wie zwei Vollmonde, und das Publikum war eine funkelnde Ansammlung von Cyberbrillen: Nachtaugen inmitten eines vergoldeten Sumpfes. Es wurde ein Popsong der Zwanziger gespielt, den sie sogleich wiedererkannte, ein Song, den sie einmal für hip gehalten hatte. Jetzt klang die veraltete Musik verloren und primitiv, nahezu barbarisch. Themenmusik für den Triumphmarsch der lebenden Fossilien.
    Man hatte sie als Glamourgirl der Zwanziger herausgeputzt. Dabei war sie niemals eine Schönheit gewesen, keinen Moment hatte sie ausgesehen wie jetzt, denn sie war viel zu beschäftigt und viel zu vorsichtig gewesen. Und jetzt hatte sie sich durch eine erstaunlich Fügung dafür gerächt. Die Freude war gleichzeitig voller Wehmut und Unmittelbarkeit, und beides vermischte sich in ihrem Kopf zu einem wahnsinnigen Frohlocken.
    Die Kameras im Publikum stießen weiße Laserblitze aus, die sich allmählich zu einem Crescendo steigerten. Maya kam sich so strahlend vor. Sie war eine tolle Person. Sie stob wie ein nostalgischer Wirbelwind an den maschinenverhüllten Augen der Zuschauer vorbei. Sie befand sich im Mittelpunkt der Bewunderung, die Schöne, der Vamp, die Femme fatale. Die unsterbliche verlorene Geliebte, todschick, grabesschick, im Begriff, wiederaufzuerstehen und unter den Sterblichen zu wandeln. Sie hatte das Publikum mit ihrem geklauten Charisma zerschmettert. Man hatte sie als auferstandenes Gespenst in eine Mailänder Modenschau entlassen, auf dass sie die Zeit unter ihren Füßen zertrampelte. Sie brachte das Publikum dazu, sie zu lieben.
    Am Ende des Laufstegs vollführte sie eine kleine Pirouette, trat mit knallenden Absätzen ein Stück zurück, strahlte das Publikum glücklich an. Sie stand so weit über ihm und war in lunares Licht gehüllt, und die Zuschauer waren stinkende, dunkle, niedere Kreaturen, für die sie unerreichbar war. Ihr Lauf währte eine Ewigkeit. Sie hatte ganz vergessen zu atmen. Die Beengung in der Brust machte sie fast wahnsinnig vor

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