Heiliges Feuer
und elegant und ihr unendlich überlegen. Das Hotel hatte nette Angestellte, römische Bürger in den Vierzigern, Jugendliche, die sich ihr Geld damit verdienten, die Reichen zu bedienen. »Signorina?«
»Ich brauche einen Drink«, krächzte Maya.
Der Barkeeper lächelte galant. »Eine lange Nacht, Signorina? Eine unglückliche Nacht? Dürfte ich Ihnen einen Triacylglycerol-Frappe vorschlagen?«
»Großartig. Einen doppelten. Und geizen Sie nicht mit gesättigten Fettsäuren.«
Er brachte ihr einen großen Frappe, klares Protein zum Nachspülen und eine geriffelte Schale mit römischen Snacks. Der erste Happen verursachte ihr einen derartigen metabolischen Schock, dass sie beinahe ohnmächtig geworden wäre. Dann aber wärmte er sie von innen und sickerte in ihren ausgehungerten Blutkreislauf ein.
Als sie den Frappe zur Hälfte getrunken hatte, ließ ihre Panik allmählich nach. Sie konnte wieder aufrecht auf dem Barhocker sitzen. Das Zittern hörte auf, und sie streifte die Schuhe ab. Der Barkeeper verzog sich taktvoll ans Ende der Bar und machte sich an einem teilweise zerlegten Hausroboter zu schaffen.
Maya öffnete den Rucksack, holte die Puderdose heraus und betrachtete schaudernd ihr Gesicht. Sie entfernte das Schlimmste mit einem Papiertuch und erneuerte den Lippenstift.
Ein Römer in eleganter Abendkleidung betrat die Bar vom hoteleigenen Casino her. Er tippte mit einem Pokerchip auf die Theke und bestellte Koffein macchiato. Der angestrengte Ausdruck seines gepuderten Gesichts mit der Adlernase ließ erkennen, dass ihm die Karten heute nicht freundlich gesonnen gewesen waren.
Der Römer nahm die Mokkatasse entgegen, setzte sich zwei Plätze weiter auf einen Barhocker und blickte in den Spiegel hinter der Bar. Dann wandte er sich Maya zu und sah sie unmittelbar an. Er betrachtete ihre Beine, ihre nackten Arme, ihre bloßen Füße. Er musterte ihren Busen, der offenbar seine Zustimmung fand. Er bewunderte ausgiebig den intimen Kontakt ihres Gesäßes mit dem Barhocker. Sein Blick war direkt und aufgeladen mit sexuellem Interesse. Ein Blick, der dem Umstand gegenüber, dass sie völlig durcheinander war vor Angst, nicht gleichgültiger hätte sein können. Ein warmer, haftender Blick, der ihren Körper einhüllte wie mediterraner Sonnenschein.
Zwei Zentimeter cremefarbener Manschetten blitzen auf, als er den Ellbogen auf die Bar setzte und den dunklen, schlanken Kopf darauf stützte. Dann lächelte er.
»Ciao«, sagte sie.
»Ciao bella.«
»Sprechen Sie englisch?«
Er schüttelte den Kopf und äußerte einen leisen Laut des Bedauerns.
»Nun, das macht nichts«, sagte sie und winkte ihn mit dem Finger näher. »Heute ist deine Glücksnacht, mein Hübscher.«
5
Novak besorgte ihr in Prag eine Wohnung. Sie musste sich um die Katzen der Eigentümerin kümmern. Die Bezahlung war nicht gut, aber die Katzen waren einsam.
Das Haus gehörte einer ehemaligen Schauspielerin namens Olga Jeskova. Frau Jeskova war in mehreren von Novaks frühen virtuellen Inszenierungen aufgetreten und hatte in einigen Tragödien mitgespielt. Ihr Geld hatte sie in Immobilien angelegt, und nun, siebzig Jahre später, war sie recht wohlhabend. Frau Jeskova verbrachte die nebligen Prager Winter für gewöhnlich im schicken und sonnigen Sinai, wo sie sich irgendwelchen ausgefallenen Kuren unterzog.
Frau Jeskovas Wohnung lag in der fünfzehnten Etage eines siebzigstöckigen Hochhauses am Prager Stadtrand. Mit der U-Bahn waren es zwanzig Minuten bis zur Altstadt, doch das war ein geringer Preis für den vielen Platz und den Luxus. Die Schauspielerin hatte zwei weiße Perserkatzen. Die Katzen machten den Eindruck, als seien sie biocybernetisch mit der Wohnung vernetzt. Vorherrschend war weißes Fell: weißes Fell auf dem Bett, weißes Fell auf der Toilette, weißes Fell auf der Massageliege, weißes Fell für die Kissenbezüge, ein mit weißem Fell bezogenes Terminal. Des Nachts tauchten zwei nussknackerähnliche Apparate auf und bürsteten alles mit den Zähnen durch.
Am 20. April besuchte Maya mit ihrer Ausrüstung Emil. Er war auf und arbeitete gerade. Als er ihr die Tür öffnete, trug er seine schmutzige Schürze.
»Ciao, Emil«, sagte Maya.
»Ciao«, sagte Emil und lächelte wachsam.
»Ich bin die Fotografin«, erklärte sie.
»Oh. Das ist schön.« Emil machte ihr Platz.
In der Wohnung war eine junge Frau. Sie hatte hüftlanges Haar und war mit einem schwarzen Cowboyhut, einem Mantel mit Pelzbesatz und Hose
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