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Heiliges Feuer

Heiliges Feuer

Titel: Heiliges Feuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Sterling
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musst du dir deine eigene Welt erschaffen.«
    »Das sagen alle lebendigen Leute, aber die Alten lassen es nicht zu. Sie lassen uns bloß im Sandkasten spielen. Sie geben uns weder richtiges Geld noch richtige Macht, noch richtige Chancen.« Brett atmete stockend ein. »Und was am schlimmsten ist, selbst wenn wir dies alles hätten, wären wir noch lange nicht so gut wie sie. Verglichen mit den Gerontokraten sind wir Abfall, Kitsch, dumme kleine Amateure. Ich könnte das lebendigste Mädchen auf der ganzen Welt sein und wäre doch immer nur ein kleines Mädchen. Die Gerontokraten, die sind wie die Eiskruste auf einem Teich. Wir sind tief unten, wo wir das Tageslicht nie zu Gesicht bekommen. Wenn unsere Zeit kommt, dann sind wir alt - kalte, blinde Tische, schlimmer als Vietti, hundertmal schlimmer. Und dann wird sich die ganze Welt in Eis verwandeln.«
    Sie schluchzte hemmungslos.
    Kurt setzte sich abermals auf. Diesmal war er wütend. »Hallo? Wer hat euch hergebeten? Wenn ihr nicht klarkommt, verschwindet!«
    »Deshalb liebe ich die Junkies!«, rief Brett mit schriller Stimme und setzte sich weinend auf; ihr Gesicht war gerötet. »Weil sie in Bereiche vordringen, wohin ihnen die Gerontokraten niemals folgen werden. Sie spinnen sich in Phantasien ein und sterben. Seht euch doch mal um! So wird einmal die ganze Welt aussehen, wenn man uns nicht gestattet zu leben.«
    »Ja, schon gut«, meinte Antonio und legte das Buch sorgsam weg. »Kurt, schmeiß die kleine Spinnerin raus. Wirf sie auf die Straße, Kurt.«
    »Mach du das«, sagte Kurt. »Du hast sie reingelassen.«
    Auf einmal krachte es auf der Toilette. Die Tür sprang auf und knallte so heftig gegen die Wand, dass sich ein Scharnier löste.
    Alle waren wie erstarrt. Es gurgelte, dann gab es eine weitere heftige Explosion. Braunes Abwasser spritzte bis an die Decke. Dann barsten verrostete Bolzen, das Klobecken löste sich aus seiner Verankerung und kippte in den Keller.
    Eine funkelnde Maschine mit hundert zappelnden Beinen schlängelte sich aus dem Abflussrohr hervor. Der dicke Metallkopf war gespickt mit dreckverschmutzten Borsten und chemischen Sensoren. Die Maschine klammerte sich mit ihren dicken Borstenbeinen an den Türrahmen, während das Hinterteil stoßweise weißen Schaum freisetzte.
    Sie wölbte den gepanzerten Rücken und heulte wie eine Todesfee.
    »Nicht weglaufen, nicht weglaufen!«, brüllte Kurt. »Wer wegläuft, wird strenger bestraft!« Natürlich liefen doch alle weg. Sie sprangen auf, polterten die Treppe hoch und rannten auf die Straße wie eine Horde aufgescheuchter Paviane.
    Auch Maya stürzte auf die feuchte, eiskalte römische Straße.
    Dann machte sie kehrt und rannte wieder in den Keller hinunter. Sie schnappte sich den Rucksack. Der Abwasserwächter war halb unter Dichtungsschaum begraben. Er wandte sich ihr zu, nahm sie mit seinen Kameraaugen ins Visier, richtete zwei Flanschen am Hals auf, die sogleich rote Lichtblitze aussandten. Er sagte etwas sehr bedrohlich Klingendes auf italienisch. Maya wandte sich zur Flucht.
     
    Gegen fünf Uhr morgens gelangte sie ins Hotel. Nieselregen hatte eingesetzt.
    Sie stolperte in die Hotelbar. Sie hatte weiche Knie. Es wäre netter gewesen, irgendwo anders hinzugehen, aber sie war es leid, nicht zu wissen, wo sie hingehörte. In der leeren Straßenbahn hatte sie einen Plan gefasst.
    Sie würde warten, bis Novak aufwachte, und ihm dann alles beichten. Vielleicht würde er ja seines Abscheus und seines Zorns Herr werden und Mitleid mit ihr haben. Vielleicht würde er sogar irgendwie eingreifen. Und wenn nicht, nun, er hatte die Chance verdient, sie anzuzeigen. Die Chance, sich zu rächen.
    Die Prager Polizisten machten einen etwas schrulligen Eindruck und wären daher vielleicht nachsichtiger als die Polizei in Rom, Munchen oder San Francisco. Außerdem stand sie tief in Novaks Schuld; er hatte ihr die Augen geöffnet. Sie war mit ihrem nutzlosen Ich in sein Leben eingedrungen, und nun verdankte sie ihm die Erkenntnis der Wahrheit.
    Sie setzte sich auf einen Barhocker, der sich unter ihr zu drehen schien. Einen Moment lang wurde es schwarz um sie. Allmählich dämmerte ihr, dass sie den ganzen Tag über nichts gegessen hatte. Sie hatte einfach nicht daran gedacht.
    Die Bar war leer. Ein Barkeeper trat aus der Tür für das Dienstpersonal. Es war fünf Uhr morgens, aber vielleicht hatte ihm der Türsteherhund Bescheid gegeben. Der Barkeeper näherte sich ihr voller Besorgnis. Er war gut aussehend

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