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Heiliges Feuer

Heiliges Feuer

Titel: Heiliges Feuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Sterling
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nicht erkannt, weil sie zu sehr damit beschäftigt gewesen war, es zu verachten. Jetzt aber verstand sie die Junkies und empfand Mitleid mit ihnen. Die Wahrheit und die Traurigkeit waren untrennbar miteinander verknüpft. Diese Wahrheit erkannte man erst dann, wenn man traurig genug war.
    Antonio und seine beiden Freundinnen machten sich eifrig am Tinkturenset zu schaffen. Der korrekte Gebrauch eines Tinkturensets war eine Art sozialer Kunst, sie erforderte Gelassenheit und Geschicklichkeit, Weitblick und Genauigkeit im Detail.
    Die Junkies besaßen keine dieser Eigenschaften. Sie waren linkisch und gleichzeitig fürchterlich entschlossen. Sie waren durch und durch vergiftet, daher machten sie viele kleine Fehler. Jedes Mal, wenn sie einen Fehler gemacht hatten, hielten sie inne und bemühten sich, darüber nachzudenken, und dann fingen sie von neuem an herumzuprobieren. Es war, als schaute man drei kleinen Spinnen zu, die sich allmählich anschickten, ein gefangenes, zappelndes Insekt zu verspeisen.
    Maya schauderte heftig, und Brett streichelte ihr über den Arm. »Hab keine Angst.«
    Bis jetzt hatte sie keine Angst gehabt. Aber kaum, dass Brett das Wort ausgesprochen hatte, war die Angst auf einmal da. Ein kalter Schwall hässlicher Angst, der einem überschwappenden, riesigen schwarzen Meer entstammte. Was hatte sie zu fürchten? Weshalb verspürte sie auf einmal Panik? Es gab keinen Grund, Angst zu haben. Abgesehen natürlich davon, dass sie sich dem Begehren überlassen hatte. Das Begehren war in ihrem alternden Gehirn in grauen Lappen aus frischem neuralem Fleisch herangewachsen. Ihre jugendliche Lebensfreude war ebenso falsch wie die spinnenhaften Zuckungen eines Junkies. Sie träumten vom künstlichen Paradies, während sie selbst zum künstlichen Paradies geworden war.
    Sie stolperte durch Europa, als ob nie jemand hinter die Wahrheit kommen würde, aber wie sollte das zugehen? Mit großer Unverfrorenheit lebte sie nun seit drei Monaten außerhalb des Gesetzes, beschützt allein von einer verrückten Fassade des Glücklichseins und der Zuversicht. Von der Eierschale eines trügerischen Selbstvertrauens. Sie wandelte über die Hängebrücke anderer Leute Unglauben. Man musste schon verrückt sein, um zu meinen, dies könne von Dauer sein.
    Natürlich würde man sie irgendwann schnappen. Irgendwann würde sie straucheln. Die nackte Wirklichkeit konnte jederzeit das Gewebe ihrer Phantasien durchstoßen. Von allen Seiten drohten Denunziation und Verrat. Von Paul, der zu viel wusste. Von Josef, sollte er sich mal Gedanken machen. Von Benedetta, die sich an ihr rächen könnte, sollte sie die hässliche Wahrheit einmal erfahren. Und wenn Emil sie nun vermisste und sich an die Polizei wandte?
    Am liebsten wäre sie Hals über Kopf auf die Straße gerannt, doch die grausame, hellsichtige Kraft der Droge bannte sie auf dem Fleck fest. Angenommen, sie liefe abermals weg. Angenommen, sie bestiege einen Zug nach Wladiwostok oder Ulan Bator oder Johannesburg - was wäre, wenn sie einmal krank würde? Oder wenn sich Nebenwirkungen der Behandlung bemerkbar machten? Wie hatte sie, eine Medizinökonomin, nur so dumm sein können? Eine Behandlung wie die NTDZ hatte natürlich Nachwirkungen - vor allem deshalb hatte man sie so genau unter Beobachtung gehalten. Um die unerwünschten Reaktionen aufzuspüren und zu studieren. Zumal im schnell wachsenden Gewebe wie dem Haar und den Nägeln ...
    Als Maya ihre schartigen Fingernägel betrachtete, entrang sich ihr ein Wimmern. Warum hatte sie sich das bloß angetan? Sie war ein Monstrum. Sie war ein Monstrum, das aus seinem Käfig geflohen war, und wen sie auch kannte und kennen lernte, alle hatten ein Interesse daran, sie wieder einzusperren. Vor Verzweiflung begann sie zu zittern.
    »Vielleicht hätte ich dir nicht so viel geben sollen«, meinte Brett besorgt. »Aber ich wollte nicht, dass du die Wirkung an dir abprallen lässt und mich zum Aufhören zwingst.«
    »Ich bin ein Monstrum«, sagte Maya. Ihre Lippen bebten.
    Brett legte ihr den Arm um die Schultern. »Schon gut, meine Liebe«, murmelte sie. »Du bist kein Monstrum. Jedermann weiß, wie schön du bist. Du solltest ein wenig weinen. Das hilft bei Lacrimogen immer.«
    Antonio kam herbeigeschlurft und blickte in die Hängematte. »Ist alles in Ordnung? Kommt sie klar?«
    »Es geht ihr nicht besonders«, antwortete Brett. »Wonach riecht es hier?«
    »Da ist was angebrannt«, erklärte Antonio. »Wir müssen es wegspülen

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