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Heiliges Feuer

Heiliges Feuer

Titel: Heiliges Feuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Sterling
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Novaks. Mag sein, sie ist hübsch, aber mein Gott, jeder Idiot kann hübsch aussehen.]«
    »Macht es«, sagte Maya.
    Benedettas Miene hellte sich auf. »Wirklich? Ist das dein Ernst?«
    »Macht es! Natürlich meine ich’s ernst. Es ist mir egal, was aus mir wird. Falls es klappt - falls es auch nur so aussieht, als könnte es klappen - falls sie glauben sollten, dass es klappen könnte -, werden sie mich bei lebendigem Leib verbrennen.
    Aber das macht nichts, denn irgendwann schnappen sie mich sowieso. Ich bin verdammt. Das weiß ich. Ich bin ein Freak. Wenn euch wirklich etwas an meinem kostbaren Leben liegen würde, dann wüsstet ihr das bereits. Also solltet ihr besser tun, was immer ihr tun müsst. Und zwar rasch.«
    Sie stieß den Stuhl zurück und ging davon.
    Zurück zu Pauls Tisch. Sie war aufgewühlt, doch sich in Pauls charismatischer Aura aufzuhalten, war viel besser, als allein zu sitzen. Paul nippte lächelnd an seiner limoncello. Er hatte einen neuen Furoshiki auf dem Tisch ausgebreitet, der ein pointillistisches Foto eines Sonnenuntergangs über der Wüste zeigte, das etwas von einem Gobelin hatte. »Ist der Sonnenuntergang nicht wunderschön?«
    »Manchmal«, meinte jemand zurückhaltend.
    »Ich habe euch noch gar nicht gesagt, dass ich die Farbskala verändert habe.« Paul tippte den Furoshiki mit dem Fingernagel an. Der Sonnenuntergang veränderte sich drastisch. »Das ist der wahre, originale Sonnenuntergang. Ist er schöner als die veränderte Version?«
    Alle schwiegen.
    »Angenommen, man könnte einen realen Sonnenuntergang manipulieren - nach eigenen Vorstellungen beeinflussen. Angenommen, man könnte das Rot beliebig hervorheben und das Gelb abschwächen. Könnte man einen Sonnenuntergang schöner erscheinen lassen?«
    »Ja«, sagte ein Zuhörer. »Nein«, widersprach ein anderer.
    »Denken wir mal an einen Sonnenuntergang auf dem Mars, aufgenommen von einer Telepräsenzsite. Ein Sonnenuntergang von einem anderen Planeten, den wir leibhaftig nicht erleben können. Sind die Marssonnenuntergänge wegen der zwischengeschalteten Geräte nun weniger schön?«
    Gequältes Schweigen.
    Am Kopf der Treppe erschien eine Frau, bekleidet mit einem schweren gestreiften Cape und grauen Samthandschuhen. Sie trug einen dreieckigen Hut, eine funkelnde Cyberbrille, eine weiße Bluse mit offenem Kragen und eine Halskette aus dunklen Holzperlen. Sie hatte ein klassisches Profil: gerade Nase, volle Lippen, breite Augenbrauen; die Haute-Couture-Schwester der Freiheitsstatue. Sie schritt die Stufen zur Bar mit der bühnenerfahrenen Präzision einer Primaballerina hinunter. Ihr Gang strahlte nicht nur Anmut aus, sondern auch streitbare Autorität. Sie hatte zwei kleine weiße Hunde dabei.
    Im Tete du Noye breitete sich Stille aus.
    »Bonsoir ä tout le monde«, sagte die Fremde am Fuß der Treppe und lächelte wie eine Sphinx.
    Paul erhob sich rasch, deutete eine Verneigung an und winkte sie widerwillig näher. Als die anderen sahen, dass er wirklich mit ihr sprechen wollte, entfernte sich der kleine Kreis seiner Zuhörer hastig.
    Paul bot seinem neuen Gast einen Stuhl an.
    »Schön, Sie zu sehen, Helene. Was möchten Sie trinken?«
    Die Polizistin setzte sich mit elegantem Schwung ihres Capes. »Ich nehme das gleiche wie der Herr im Raumanzug«, antwortete sie auf englisch. Sie machte die Hunde von den schmalen, funkelnden Leinen los - als ob solche Hunde überhaupt eine Leine bräuchten.
    Paul machte Klaus eilig ein Zeichen. »Wir haben uns soeben über Ästhetik unterhalten.«
    Helene Vauxcelles-Serusier nahm die Brille ab, klappte sie zusammen und ließ sie in einem Schlitz im Cape verschwinden. Maya machte große Augen. Helenes schiefergraue, erstaunlich schöne, äußerst kühl blickende Augen waren weit einschüchternder als jedes rechnergestützte Wahrnehmungsgerät. »Mit welch reizenden Dingen Sie sich beschäftigen, Paul.«
    »Helene, finden Sie, dass ein künstlich veränderter Sonnenuntergang schöner ist als ein natürlicher?«
    »Mein Lieber, natürliche Sonnenuntergänge gibt es seit der industriellen Revolution keine mehr.« Helene warf Maya einen Blick zu und durchbohrte sie mit dem Stachel ihrer Aufmerksamkeit wie eine Motte. »Sie brauchen doch nicht zu stehen, mein Kind. Setzen Sie sich zu uns. Sind wir uns schon mal begegnet?«
    »Ciao, Helene. Ich bin Maya.«
    »Aber ja! Viettis Mädchen. Ich wusste doch, dass ich Sie schon einmal gesehen habe. Sie sind wirklich hübsch.«
    »Vielen Dank.«

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