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Heiliges Feuer

Heiliges Feuer

Titel: Heiliges Feuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Sterling
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heiratet sie erst im fortgeschrittenen Stadium. Und ich glaube, sie sorgt dafür, dass sie ein wenig länger durchhalten.«
    »Wer bei ihr im Bett liegt, traut sich nicht zu sterben«, säuselte Niko.
    Bouboule nickte. »Wenn sie die Arbeiten später verkauft, erzielt sie immer Spitzenpreise! Sie erwirbt sich einen Ruf in der Kunstwelt! Ein wirklich hübscher Trick! Ich weiß Bescheid!«
    »Ich verstehe«, sagte Maya. »Dann versetzt sie ihnen also den Gnadenstoß. Aus reiner Barmherzigkeit.«
    Benedetta nieste, dann schwenkte sie die Hand. »Du fragst dich bestimmt, weshalb ich dich heute hergebeten habe.«
    »Sag es uns«, drängte Maya und stützte das Kinn auf die Hand.
    »Schätzchen, wir wollen dich heute in unsere Reihen aufnehmen.«
    »Wirklich?«
    »Zuvor aber müssen wir dich einer kleinen Prüfung unterziehen.«
    »Eine kleine Prüfung. Aber sicher.«
    Benedetta deutete das Dach entlang. Der Dachfirst erstreckte sich über die ganze Länge der Kneipe. Am anderen Ende ragte ein breiter Metallpfosten auf, an dem eine flache Antenne befestigt war. Klaus’ Satellitenschüssel. Der Abstand betrug etwa zwanzig Meter.
    »Und?«, meinte Maya.
    Benedetta pflückte sich den Stift aus dem Haar. Sie drückte auf einen winzigen Knopf, dann beugte sie sich vorsichtig vor und berührte mit dem Stift einen der Keramikziegel. Funken stoben. Schwärze fraß sich in den Dachziegel vor.
    »Unterschreib auf der Mitgliederliste«, sagte Benedetta. Sie reichte den Stift Maya.
    »Eine tolle Idee. Wo soll ich unterschreiben?«
    »Auf dem Pfosten.« Benedetta deutete zur Satellitenschüssel.
    »Du musst hingehen«, sagte Niko.
    »Ihr wollt, dass ich auf dem Dachfirst bis zu dem Pfosten gehe.«
    »Ein kluges Kind«, meinte Bouboule zu Niko. Niko nickte selbstgefällig.
    »Dann soll ich also im Dunkeln zwanzig Meter über einen schlüpfrigen Dachfirst balancieren, zu dessen beiden Seiten es vier Stockwerke in die Tiefe geht«, sagte Maya. »Das verlangt ihr von mir. Richtig?«
    »Erinnerst du dich noch an deine lebendige Freundin aus Rom?«, fragte Bouboule leise. »An die kleine Natalie?«
    »Natalie. Klar. Was ist mit ihr?«
    »Du hast mich gebeten, mich ein wenig um sie zu kümmern.«
    »Ja, das hab ich.«
    »Ich hab’s getan«, sagte Benedetta. »Jetzt kenne ich Natalie. Sie würde die Prüfung niemals bestehen. Weißt du, warum? Weil ihr klar würde, dass sie es niemals schaffen kann, und sie in der Mitte stehenbliebe. Dann würde sie sterben vor Angst. Angesichts der Dunkelheit und der Tiefe würde ihr kleines Herz aus dem Takt geraten, und sie würde ausrutschen. Einfach so. Sie würde vom Dach stürzen, Schätzchen. Bäng, bäng, bäng, über die Dachziegel. Und dann der Aufprall auf dem kalten Straßenpflaster. Wenn sie Glück hätte, würde sie mit dem Kopf aufschlagen.«
    »Aber da du eine von uns bist«, meinte Bouboule, »besteht keine Gefahr.«
    »Es sieht bloß gefährlich aus«, warf Niko fröhlich ein.
    »Lägen die Ziegel auf dem Marktplatz in der Altstadt auf dem Boden, könnte jeder Idiot darüber hinweg balancieren«, sagte Benedetta. »Niemand würde ausrutschen oder stürzen. Die Dachziegel sind nicht gefährlich. Die Gefahr liegt in deinem Innern. In deinem Kopf, in deinem Herzen. Du selbst bist die Gefahr. Wenn du deine Angst beherrschen kannst, dann unterschreibst du auf dem Pfosten und kommst zu uns zurück. Du bist auf dem Dach so sicher wie in deinem Bett; nein, Schätzchen, du bist sicherer, denn dort unten laufen Männer herum. Hier aber wandelst du unter den Sternen - entweder du hast es, oder du hast es nicht.«
    »Los, unterschreib für uns«, sagte Bouboule.
    »Und dann komm zu uns zurück und sei unsere Schwester«, meinte Niko.
    Maya schaute sie an. Sie meinten es vollkommen ernst. So war ihr Leben.
    »Also, mit Absätzen geht das nicht«, sagte sie. Sie zog die Schuhe aus und richtete sich auf. Zum Glück hatte Novak sie ein wenig Gehen gelehrt. Sie fixierte die schimmernde Schüssel und wandelte über den Dachfirst. Nichts konnte sie aufhalten. Optimismus und Zuversicht. Dann schrieb sie:
     
    MIA ZIEMANN WAS HERE
     
    Inmitten stiebender Funken. Ihr Name machte sich gut unter all den anderen Namen. Sie fügte auch noch eine kleine Zeichnung hinzu.
    Der Rückweg war schwieriger, weil ihre Füße so durchfroren waren. Die Berührung mit den Dachziegeln tat weh, und sie tastete sich langsamer voran und hatte daher mehr Zeit zum Nachdenken. Sie würde nicht hinunterfallen, doch wie ein kalter

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