Heiliges Feuer
einmal kam sie ihr nicht mehr ganz so schön vor, aber die Ähnlichkeit mit einer Kröte war noch immer bemerkenswert.
»In Wirklichkeit wurden über zehntausend Exemplare hergestellt. Die Kröte besteht auch nicht aus künstlichem Rubin, da habe ich dich angelogen. Sie besteht bloß aus Plastik.«
»Oh.«
»Man hat nicht einmal frisches Plastik verwendet«, fuhr Paul unerbittlich fort. »Sondern recycelten Plastikmüll, gewonnen aus einer Müllhalde des zwanzigsten Jahrhunderts. Ich habe bloß behauptet, das Original sei von Faberge, um klar zu machen, worum es mir geht.«
»Oh, nein«, stöhnte Maya. Die anderen Leute lachten.
»Ich scherze natürlich bloß«, meinte Paul fröhlich. »In Wirklichkeit handelt es sich tatsächlich um ein Original von Faberge. Es wurde 1912 in Moskau hergestellt. Vierzehn Künstler waren volle fünf Monate lang damit beschäftigt. Es ist einzigartig, vollkommen unersetzlich. Ich habe es bei der Antikensammlung in Munchen ausgeliehen. Lass es bloß nicht fallen.«
»Du solltest es besser wieder an dich nehmen«, sagte Maya.
»Nein, halt es nur, meine Liebe.«
»Lieber nicht. Die unablässigen Verwandlungen strengen mich zu sehr an.«
»Und wenn ich dir nun sagte, dass die Figur doch nicht von Faberge stammt? Dass es sich um eine echte Kröte handelt? Um keine von Menschenhand nachgeformte, sondern eine gescannte Gartenkröte. Bestehend aus - na, du kannst dir das Material aussuchen.«
Maya betrachtete die Figur. Es war angenehm, sie zu halten, und etwas daran gefiel ihr wirklich, doch allmählich bekam sie Kopfschmerzen. »Eigentlich fragst du mich, ob eine fotografierte Kröte ebenso schön wie eine gemalte sein kann.«
»Und, kann sie?«
»Vielleicht geht es dabei um unterschiedliche Kategorien von Schönheit.« Maya blickte in die Runde. »Würde mir jemand das mal abnehmen?«
Sergei nahm ihr die Kröte mit gespielter Tapferkeit aus den Händen und tat so, als wolle er sie gegen die Tischplatte schmettern. »Tu’s nicht«, meinte Paul geduldig. »Eben noch hast du sie bewundert. Was hat dich zu der Sinnesänderung bewogen?«
Maya ging fort, um nach Benedetta zu sehen. Sie entdeckte sie in einem kleinen Grüppchen hinter der Bar. »Ciao, Benedetta.«
Benedetta erhob sich und umarmte sie. »[Das ist Maya.]«
Benedetta hatte vier italienische Freundinnen mitgebracht. Sie waren höflich und nüchtern, blickten gelassen und wirkten eigentümlich beherrscht. Sie machten einen sehr intelligenten Eindruck. Sie waren ziemlich gut gekleidet. Sie wirkten so gefährlich wie nur irgendwelche Kids, die Maya in letzter Zeit gesehen hatte.
Benedetta machte für Maya ein Plätzchen frei. »Tut mir Leid, aber ich kann nicht Italienisch«, meinte Maya und nahm Platz. »Ich habe einen Übersetzer, aber ich muss englisch reden.«
»Wir würden gern wissen, welcher Art deine Beziehung zu Vietti ist«, sagte eine der jungen Frauen ruhig.
Maya zuckte die Achseln. »Er findet mich nett. Das ist alles.«
»Und in welcher Beziehung stehst du zu Martin Warshaw?«
Maya blickte Benedetta an, verwundert und verletzt. »Also, wenn du’s unbedingt wissen willst, der Palast hat ihm gehört.
Du weißt über den Palast Bescheid?«
»Wir wissen alle Bescheid. Und in welcher Beziehung stehst du zu Mia Ziemann?«
»Wer ist das?«, entgegnete Maya.
Die Frau, welche gefragt hatte, lehnte sich achselzuckend zurück und winkte ab. »Also, wir wären blöd, wenn wir dieser Person vertrauen würden.«
»[Natürlich sind wir blöd]«, meinte Benedetta hitzig. »[Wir sind blöd, weil wir einander vertrauen. Wir sind blöd, weil wir überhaupt jemandem vertrauen. Mach einen besseren Vorschlag, wo wir die Geräte installieren sollen.]«
»Benedetta, was sind das für Leute?«
»Das sind Mathematikerinnen«, antwortete Benedetta. »Programmiererinnen. Rebellen. Und Visionäre. Und sie sind eng mit mir befreundet.«
Radikale Studentinnen, dachte Maya. Die sich für Phantasiewelten begeistern, weil sie von der Wirklichkeit keine Ahnung haben. »Wer ist eigentlich die älteste hier?«, fragte sie vorsichtig.
»Du natürlich«, meinte Benedetta augenzwinkernd.
»Ach, vergiss die Frage. Was hat das alles eigentlich mit mir zu tun?«
»Ich will dir mal etwas aufzeichnen«, sagte Benedetta. Sie breitete ihren Furoshiki aus und zog einen Stift hinter dem Ohr hervor. »Ich will dir eine interessante Tatsache des Lebens verdeutlichen. Die mit dem medizinisch-technischen Komplex zu tun hat.« Mit zwei raschen
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