Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Heiliges Feuer

Heiliges Feuer

Titel: Heiliges Feuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Sterling
Vom Netzwerk:
man ihrer Geschichte Glauben und begegnete ihr voller Mitgefühl. Die Leute in dieser paradiesischen Enklave des entsalzten Meerwassers und des gehätschelten Dschungels waren freundlich. Sie gaben ihr ein Notebook und setzten sie auf die Fährte der Schauspielerin.
    Die Schauspielerin war eine bepelzte Hominide mit dicken schwarzen Fingernägeln und behaarten, schwieligen Füßen. Sie war nackt und mit drahtigem schwarzem Fell bedeckt. Um diesen Effekt zu erreichen, brauchte man bloß einen uralten DNS-Abschnitt zu aktivieren. Dieser medizinische Eingriff verlängerte nicht die Lebensspanne, daher wurde er zumeist im Rahmen einer Kur durchgeführt.
    In gewissen modernen Kreisen wurde es als entspannend betrachtet, sich in die Lebensweise eines Prähominiden zu flüchten. Ein paar erholsame Monate lang mit getrübtem Bewusstsein und dem Zwang zur Nahrungsbeschaffung unterworfen, um sich fit zu halten. Die prähominiden Feriengäste verzehrten Obst und erlegten kleine Tiere mit Stöcken. Sie trugen Peilsender und wurden einmal wöchentlich mit Aas gefüttert.
    Maya befolgte die Hinweise des Notebooks. Schließlich fand sie Frau Jeskova. Frau Jeskova blickte aufs Meer hinaus und knackte gerade Austern mit einem Faustkeil.
    »Sind Sie Olga Jeskova?«
    Frau Jeskova schlurfte geräuschvoll eine Auster aus. Das Notebook sagte etwas auf tschechisch. Maya hantierte mit den Menüs. »[Im Moment nicht]«, antwortete der Rechner doppeldeutig.
    »Mein Name ist Mia Ziemann, Frau Jeskova«, sprach Maya in das Notebookmikrofon. »Es tut mir Leid, dass wir uns auf diese Weise kennen lernen. Ich komme aus Prag und überbringe Ihnen schlechte Nachrichten.«
    »[Schlechte Nachrichten können warten]«, entgegnete das Notebook in unbeholfenem Englisch. »[Schlechte Nachrichten können immer warten. Ich bin hungrig.]«
    »Ich habe in Ihrer Wohnung gelebt. Ich habe mich um Ihre Katzen gekümmert. Ich war Ihre Katzensitterin. Verstehen Sie mich?«
    Frau Jeskova schlürfte eine weitere Auster. Als ihr Pelz zuckte, kratzte sie sich heftig. »[Meine süßen kleinen Katzen]«, sagte das Notebook nach einer Weile.
    Der Hotelangestellte hatte sie darauf vorbereitet, dass die Verständigung Geduld erfordern würde. Die Menschen zogen sich nicht zum Plaudern hierher zurück, behielten gewisse geistige Funktionen aber für den Notfall bei.
    »[Was ist mit meinen kleinen Lieblingen?]«, fragte das Notebook schließlich.
    »Sie sind tot. Es tut mir sehr Leid. Ich war Gast in Ihrem Haus, und Ihre Katzen sind zu Tode gekommen. Das tut mir fürchterlich Leid. Es war ganz allein meine Schuld. Ich bin so schnell ich konnte hergekommen, denn ich wollte es Ihnen persönlich mitteilen.«
    »[Meine Katzen sind tot?]«, fragte Frau Jeskova. »[Wenn ich heimkomme, werde ich sehr traurig sein.]«
    »Ein Hund ist in die Wohnung eingedrungen und hat sie getötet. Es war grauenhaft, und ich war schuld. Ich musste herkommen und es Ihnen persönlich sagen. Ich musste einfach.« Sie zitterte heftig.
    Frau Jeskova musterte sie mit ihren alterslosen braunen Augen. »[Hören Sie auf zu weinen. Sie sehen schlimm aus. Sie sind bestimmt hungrig.]«
    »Ich glaube schon.«
    »[Essen Sie diese Steinleckereien. Sehr saftig und wohlschmeckend.]« Sie zerschmetterte mit dem Faustkeil eine weitere Auster.
    Maya fischte die rohe Auster aus der zerbrochenen Schale. Es erforderte eine Menge Mut, das Ding hinunterzuschlucken. Das Gefühl im Mund war widerlich, andererseits aber eine intensive sinnliche Erfahrung.
    Maya blickte aufs Rote Meer hinaus. Es war ihr unverständlich, weshalb es als ›rot‹ bezeichnet wurde, wo es doch ein so intensives Blau zeigte. Vielleicht hatte man irgendwas damit angestellt und das Meer verändert. Aber die Wogen brandeten an den Strand, brachen sich in einem langsamen, stetigen Rhythmus an schwarzen Felsen, überwölbt von einem sich Millionen blaue Meilen weit erstreckenden heißen, unbekümmerten Himmel. »Es heißt, das Ertrinken gehe rasch vonstatten. Es sei ein leichter Tod.«
    »[Reden Sie keinen Unsinn. Essen Sie.]«
    Maya verzehrte noch eine Auster. Ihr Magen entspannte sich allmählich und knurrte verzückt.
    »Ich bin hungrig«, sagte sie plötzlich. »Ich kann gar nicht glauben, wie hungrig ich bin. Du meine Güte, ich glaube, ich habe seit Tagen nichts mehr gegessen.«
    »[Essen Sie. Tote Mädchen sind schlimmer als tote Katzen.]«
    Maya aß noch eine Auster und blickte aufs Meer hinaus. Die Wogen funkelten rhythmisch. Eine seltsame

Weitere Kostenlose Bücher