Heiliges Feuer
ihr alles, weil sie sie mochten. Es gab da Schachteln in der Schachtel in der Schachtel, die ihre eigene Geometrie vervielfältigten, ein räumliches Kaleidoskop. Dann waren da die OhrblumenWindrädchen.
Man hörte, wie sich die Blumen bewegten, doch sie erreichten nie ganz die Netzhaut. Und dann die riesigen Höhlen formenden Gebilde, die sich endlos fortpflanzten.
Maya bekam nicht genug vom heiligen Feuer. Es erschöpfte sich einfach nicht. Es verlangte keine Aufmerksamkeit; es funktionierte auch so. Es geschah einem, anstatt dass man etwas tat. Irgendwann aber drückten sie die Handschuhe und die Ohrhörer, oder sie bekam Rückenschmerzen. Dann loggte sie sich aus und sah an die Wand.
Nach dem heiligen Feuer war eine kahle Wand äußerst aufschlussreich. Sie konnte dasitzen und über die kahle Wand und die schiere Fülle ihrer Dinglichkeit meditieren. Die bloße Gegenwärtigkeit ihres sublimen und ehrfurchtgebietenden Vorhandenseins war überwältigend. Nicht der Inhalt machte die Dinge mehr aus, sondern das Außen, wenn man aus ihnen hervorkam und sie betrachtete ...
Bisweilen legte sie sich flach auf den Boden und schaute an die Decke. Dann setzten sich die weißen Katzen der Schauspielerin auf ihre Brust, massierten sie sanft mit ihren Pfoten und blickten ihr ins Gesicht. Tieraugen, Fenster in eine Welt, die von Worten und Symbolen nichts wusste.
Auch außerhalb des Palasts waren sie geschäftig. Sie hatten Attacken gegen ein paar offenbar verlassene Paläste geführt und es geschafft, in drei von ihnen einzudringen. Auch die physikalische Grundlage von Warshaws Palast hatten sie entdeckt; die Daten liefen über eine Reihe von Servern auf der Pazifikinsel Nauru. Nun lösten sie den Palast Zeile um Zeile aus dem Nauru-Netzwerk heraus und speisten ihn über Marokko und Bologna schließlich Bit für Bit in den Kristallserver in der Wohnung der Schauspielerin ein. Sie glaubten, der veränderte Palast werde schneller und effizienter laufen, sobald er sich vollständig in einem einzigen Rechner befand. Irgendwann würde sie Warshaws Palast in die Hand nehmen können. Eingefroren in einen faustgroßen Brocken optisch geätzten Rechendiamants.
Eines Junitages hielt Maya sich zu lange im Vakuumblizzard der Schneeflockenorgel auf, und als sie die Brille abnahm, wusste sie, dass sie einen Schaden davongetragen hatte. Als sie die Augen schloss, hatte sich die Welt hinter ihren Lidern verändert. Benedetta und ihre Freundinnen waren zu dem intimen Ort vorgedrungen, wo sie sich verbarg, wenn sie die Augen schloss. Machte man im Wachzustand die Augen zu, war es niemals vollständig dunkel. Hinter den geschlossenen Lidern tat sich immer etwas. Trotz des Lichtmangels arbeitete das Sehzentrum weiter und bemühte sich, auf die nichtblinde Art der grauen Zellen die Realität zu erfassen. Und so erschuf es eine kleine Welt. Die intime Welt hinter menschlichen Augenlidern setzte sich zusammen aus sanften, formlosen Blautönen, aufblitzenden trüben Purpurtönen und mausgrauen und braunen Flecken. Nun aber hatte sich etwas verändert. Es war nicht mehr wie vorher. Was Maya nun sah, war neu und ihr nicht mehr zugehörig.
Sie rief Benedetta an. Das war mühsam, denn Benedetta wurde streng abgeschirmt. Doch sie musste mit ihr reden.
»Bendetta, ich habe einen Fehler gemacht.«
»Was für einen Fehler?«
»Das funktioniert bei mir nicht.«
»Du musst Geduld haben«, sagte Benedetta sehr geduldig. »Das ist ein Langzeitprojekt.«
»Es funktioniert bei mir nicht, weil ich nicht mehr jung bin. Ich war einmal jung. Ich war jung in einer anderen Welt. Die Welt da drinnen ist eure Welt. Ihr baut etwas auf, das ich mir nicht einmal vorstellen kann. Ich kann daran Anteil nehmen, ich kann euch sogar dabei helfen, aber ich kann nicht darin leben, weil ich nicht zu euch gehöre.«
»Natürlich gehörst du zu uns. Mach dir keine Sorgen, wenn keine große Wirkung festzustellen ist. Das ist nichts im Vergleich zu dem, was wir in hundert Jahren zustande bringen werden.«
»Ich werde keine hundert Jahre mehr leben. Ich werde nicht lange genug leben, um die Welt jenseits der Singularität zu schauen. Nicht, dass ich nicht wollte. Aber ich wurde eben zu früh geboren.«
»Maya, gib nicht auf. Du solltest nicht so defätistisch sein. Du stärkst unsere Moral.«
»Ich liebe euch und würde alles tun, um euch zu helfen, aber eure Moral müsst ihr schon selber stärken. Ich werde nie wieder dort reingehen. Allmählich fühle und begreife
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