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Heiliges Feuer

Heiliges Feuer

Titel: Heiliges Feuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Sterling
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Emergenzphänomen. Gehirne wuchsen, sie entwickelten sich aus physischem organischem Substrat. Versuchte Software, im Verbund mit einem Gehirn, zu wachsen, führte dies zu einer Symbiose von Denken und Rechnen. Normalerweise kam ein summendes, üppig wucherndes Durcheinander dabei heraus. Ließ man es dabei bewenden, führte es geradewegs in den künstlichen Wahnsinn.
    Benedetta zeigte Maya den geheimen Palastflügel, wo das Hundehirn aktiv gewesen war. Das cyberorganische Gemisch war seit Jahren in Form von Knoten und Schichten gewachsen, gewaltige Frottagen und funkelnde Ausfällungen, ein Irrgarten wie aus Koralle oder Haferschleim. Das neurale Wachstum war noch nicht beendet, doch sie hatten die Verbindungen zur Wetware des Hundes ausfindig gemacht und blockiert. Hier und da hingen Monsterperlen, mächtige rotierende Knoten wie Albträume, die niemals enden würden.
    Seit Warshaws Tod hatten die geistigen Prozesse des Hundes an fünf Stellen den Boden durchbrochen. Die abgeschnittene geistige Aktivität schoss wie Seeigel aus dem Boden.
    »Wie sieht das auf der Ebene des Codes aus?«, fragte Maya.
    »Ach, der Code ist wundervoll. Man könnte ihn in einer Million Jahren nicht entschlüsseln.«
    »Glaubst du wirklich, das hat ihm beim Denken geholfen?«
    »Ich glaube nicht, dass ein Hund so denkt wie wir, aber das ist eindeutig die kognitive Datenverarbeitung eines Säugetiers. Warshaw hat seinen Palast mit dem Denken des Hundes verknüpft. Für die damalige Zeit ganz schön raffiniert. Natürlich ist das ein Klacks, verglichen mit den Kunststückchen, die man heutzutage mit Labortieren anstellt. Aber für die Sechziger waren die Bandbreite und die Baud-Rate erstaunlich. Das Rückgrat des Hundes muss mit Antennen durchsetzt sein.«
    »Wieso das?«
    »Wir vermuten, dass er im Hund bestimmte Daten verstecken wollte. Vielleicht wollte er sogar den ganzen Palast in das Nervensystem des Hundes verlegen. Derlei visionärer Unsinn war in den Sechzigern sehr in Mode. Damals glaubten die Leute alles. Sie romantisierten Computer und mystifizierten die Virtualität. Es wurde viel herumexperimentiert. Man glaubte, alles wäre möglich, und machte sich nicht viele Gedanken. Warshaw aber war kein Programmierer. Er war bloß alt und reich. Und unbekümmert.«
    »Ist der Hund noch immer hier online?«
    »So kann man das nicht ausdrücken, Maya. Der Hund trug weder kleine Hundehandschuhe noch eine kleine Hundebrille. Er hat den Palast nie als solchen wahrgenommen, sondern ihn bloß infiziert. Oder er wurde von ihm infiziert ... Vielleicht glaubte Warshaw, er könnte eines Tages hier drin leben. Alle Spuren hinter sich verwischen und in den Strukturen des Mediums aufgehen. Damals hielten das die Menschen für möglich, bis sie es ein wenig ausprobierten und lernten, wie schwer das ist. Warshaw hat mal einen dummen Film darüber gedreht.«
    »Du hast Martin Warshaws Filme gesehen? Ist das wahr?«
    »Wir haben es uns zur Aufgabe gemacht, sie auszugraben.«
    »Magst du Warshaws Filme?«
    »Er war ein Primitiver.«
    »Auf mich wirkt das hier überhaupt nicht primitiv.«
    »Aber das ist nicht Kino. Das ist künstliches Leben. Das seit dreißig Jahren Milliarden von Zyklen durchlaufen hat.«
    Im Palastkeller hatten sie das Heilige Feuer bereits teilweise geschürt. Die Traummaschinen. Sie sollten schwer beschreibliche Dinge mit den für visuelle und akustische Reizverarbeitung zuständigen Gehirnzentren anstellen. Man würde sie irgendwie sehen und irgendwie hören, jedoch ohne dabei viel zu empfinden. Das menschliche Bewusstsein vermochte die vorbewussten Aktivitäten dieser Systeme ebensowenig wahrzunehmen, wie man die auf die Netzhaut auftreffenden Photonen wahrnahm oder spürte, wie das Gehörknöchelchen im Ohr auf die Cochlea traf. Die Installationen waren nicht unbedingt vage; sie waren einfach nicht richtig gegenwärtig. Die Erfahrung war besänftigend, als befände man sich unter Wasser. Als läge man in einer Farbenfabrik im Halbschlaf. Während ein kaum hörbares Thema einer Nichtmusik erklang.
    Es war weder spektakulär noch aufregend. Keine Sensationen, kein Schmettern oder Funkeln. Langweilig war es aber nicht. Es war das genaue Gegenteil von Langeweile. Sie entwickelten ganz, ganz sanfte Erfrischungen für die posthumanen Geister einer neuen Welt. Sie waren noch nicht besonders gut darin. Sie probierten aus, unternahmen erste Schritte und führten Buch über die Ergebnisse.
    Maya war nicht ihre Testperson, doch sie zeigten

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