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Heiliges Feuer

Heiliges Feuer

Titel: Heiliges Feuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Sterling
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Höhe betrachtet. Als sie warme Haut berührte, regte sich die Schlange.
    »Werd nicht high«, sagte der Junge.
    »Ich werd schon nicht high. Snakey ist nicht geladen.«
    »Dann lad sie auch nicht. Wenn wir uns streiten, wirst du immer high. Als wenn das eine Lösung wäre.« Der Junge holte einen Emaillekamm aus dem Rucksack und fuhr sich damit rastlos durchs Haar. »Außerdem würde die Schlange in Stuttgart blöd aussehen. In Stuttgart gibt es keine Klapperschlangen.«
    »Wir könnten nach Prag gehen. Oder nach Mailand.« Das Mädchen spielte lustlos mit der Klapper der Schlange herum. »Hier ist es so öde. Nie passiert was. Schatz, ich fühl mich elend.« Sie ließ die Schlange los und zupfte an einer fettigen braunen Haarsträhne. »Wenn ich mich mies fühle, kann ich nicht arbeiten. Du weißt doch, dass ich dann nicht arbeiten kann!«
    »Was soll ich mit dir machen, wenn du dich in Europa elend fühlst?«
    »In Europa würde ich mich niemals elend fühlen.«
    »Klar.«
    »Du glaubst, ich wüsste nicht, was ich will«, meinte sie aufgebracht. »Das war schon immer dein Problem.«
    »Du weißt nicht, was du willst, und du wirst es auch nie wissen«, fauchte er. »Du gehst mir auf den Geist.«
    »Ich hasse dich«, verkündete das Mädchen. Sie stopfte die Schlange wieder in den Rucksack.
    »Sie sollten nach Europa gehen«, sagte Mia laut.
    Die beiden schauten verwirrt hoch. »Was?«, fragte das Mädchen.
    »Sie sollten fortgehen. Einfach so.« Mias Herz setzte für einen Schlag aus, dann begann es zu rasen. »Sie sind sehr jung, aber Sie haben jede Menge Zeit. Gehen Sie für fünf Wochen nach Europa. Für fünf Monate. Für fünf Jahre. Fünf Jahre sind ein Klacks. Sie sollten gemeinsam nach Europa gehen, eine Ortsveränderung würde Ihnen gut tun.«
    »Ich bitte um Verzeihung«, sagte der Junge. »Haben wir Sie nach Ihrer Meinung gefragt?«
    Mia nahm die Sonnenbrille ab, blickte den beiden in die Augen.
    »Lass sie in Ruhe«, meinte das Mädchen rasch.
    »Irgendwann wäre es zu spät«, sagte Mia. »Wenn Sie zu lange warten, dann wissen Sie zu viel. Dann ist es überall gleich, ganz egal, wohin Sie gehen.« Sie brach in Tränen aus.
    »Na toll«, murmelte der Junge. Er erhob sich, packte die Bambushaltestange. »Komm, wir gehen.«
    Das Mädchen rührte sich nicht. »Wieso?«
    »Komm schon, sie hat einen Anfall! Das geht uns nichts an. Wir haben auch so schon genug Probleme.«
    »Sie sind noch nicht alt genug, um richtige Probleme zu haben«, entgegnete Mia. »Sie können noch eine Menge Risiken eingehen. Sie haben Kraft, und Sie sind frei. Nur zu, riskieren Sie etwas. Gehen Sie mit ihr nach Europa.«
    Der Junge starrte sie an. »Sehe ich etwa aus wie jemand, der von fremden alten Damen, die in Bussen weinen, Karriereratschläge entgegennimmt?«
    »Sie sehen aus wie ... Sie erinnern mich an einen Mann, mit dem ich vor langer Zeit mal befreundet war«, sagte Mia. Ihre Stimme zitterte. Ihre Tränengänge schmerzten. Das Brennen erstreckte sich bis in die Nase.
    »Sie gehen ziemlich großzügig mit Ratschlägen um. Wann sind Sie zum letzten Mal ein Risiko eingegangen?«
    Mia rieb sich die brennenden Augen und schniefte. »Ich gehe im Moment ein Risiko ein.«
    »Aber sicher doch,« meinte der Junge höhnisch. »Was für ein Risiko für eine Gerontokratin, sich über uns lustig zu machen! Schauen Sie sich doch einmal an - für Sie stehen die Ambulanzen doch rund um die Uhr bereit! Sie haben alle Vorteile auf Ihrer Seite! Und was haben wir?«
    Er funkelte sie aggressiv an. »Wissen Sie was, Madam, auch wenn ich erst zweiundzwanzig bin, ist mein Leben doch ebenso real und lebenswert wie Ihres! Halten Sie uns etwa für dumm, bloß weil wir jung sind? Sie wissen nicht annähernd genug, um uns Ratschläge erteilen zu können - Sie wissen gar nichts von uns, von unserem Leben, unseren Lebensumständen oder von sonst irgendwas. Sie blicken bloß auf uns herab.«
    »Nein, das tut sie nicht«, sagte das Mädchen.
    »Sie wollen uns bevormunden!«
    »Ach, das tut sie doch gar nicht! Sieh mal, sie weint, sie meint es ernst!«
    »Sie sind unverschämt!«
    »Hör auf, die nette Dame zu beleidigen! Sie hat vollkommen Recht, mit jedem einzelnen Wort!«
    Der Bus hielt. »Ich steige aus«, verkündete der Junge. »Ich kann es nicht ausstehen, wenn alte Leute meine Erfahrung in Zweifel ziehen.«
    »Dann geh doch«, sagte das Mädchen, verschränkte die Arme vor der Brust und ließ sich gegen den Sitz zurückfallen. Der Junge stutzte.

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