Heiliges Feuer
zerbricht.
»Ist mein Deutsch wirklich so schlecht, Fräulein Obermufti?«
Therese seufzte. »Maya, du überanstrengst dich. Die Leute mögen Ausländerinnen in Boutiquen. Es ist schick, Ausländerin zu sein. Du gibst das Wechselgeld jedenfalls korrekt heraus, und das ist mehr, als Klaudia je zuwege gebracht hat.«
»Ich verstehe nur Wurstsalat. Am Montag muss ich wieder malochen.«
»Würdest du bitte aufhören? Das ist grauslich.«
»Ich muss das tun ... äh ... könnten Sie mir mal das Dingsda im Schaufenster zeigen?«
»Hör mal, meine Liebe, du kannst Kunden in Modefragen nicht beraten. Dir fehlt das Gespür für Chic. Du kleidest dich wie eine kalifornische Göre.« Therese erhob sich. »Ich hätte mir nie träumen lassen, dass du den Job wie eine Erwachsene angehen würdest. Entspann dich. Du bist eine Illegale, oder hast du das vergessen? Wenn du immer nur ans Geld verdienen denkst, wird irgendwann die Polizei auf dich aufmerksam werden.«
Maya runzelte die Stirn. »Jede Arbeit, die getan werden muss, ist es wert, ordentlich getan zu werden.«
Therese dachte darüber nach. Der Tonfall und die dahinterstehende Haltung sagten ihr gar nicht zu. »Das hätte von meiner Großmutter stammen können. Ich glaube, ich kenne da ein paar Leute, die dir helfen könnten. Hör auf mit dem Unsinn, heute ist sowieso nicht viel los.«
Therese tätigte einige Netzanrufe, dann schloss sie den Laden. Sie fuhren mit der U-Bahn in die Landsbergerstraße und überquerten die Hackerbrücke. Hinter dem Bahnhof ragten die Türme der Marienkirche auf, dem Wahrzeichen des alten Munchen - vereint mit der verführerischen Möglichkeit augenblicklicher Flucht.
Alle jungen Leute schienen Therese zu kennen. Therese hatte zahllose lebendige Freunde. Therese kannte sogar ein paar alte Leute, und es war rührend zu beobachten, dass diese beinahe von gleich zu gleich mit ihr verkehrten. Bisweilen hatte es den Anschein, als sei Thereses Laden nur Fassade. Der Laden war nichts weiter als die physische Konkretisierung ihres weitläufigen, zart geknüpften Graumarktnetzes von Tipps, Unterpfänden, Geld- und Tauschgeschäften, Klamotten von der Stange, subtilen Verpflichtungen und unverhohlenen Schmiergeldzahlungen.
Heute besuchte Therese Freunde, die im Keller eines Wohnhauses in Neuhausen ein Produktionsstudio unterhielten. In der Munchener Innenstadt gab es eindeutige Vorschriften, welche verhindern sollten, dass das Stadtbild mit Hochhäusern verschandelt wurde, daher waren die hiesigen Bauunternehmer unter die Erde gegangen. Die damals so beliebten unterirdischen Gebäude waren mit Anlagen zur Belüftung und Wärmeableitung überbaut und gingen so häufig kaputt, dass man sie irgendwann nur noch an Jugendliche hatte vermieten können.
Thereses Freunde waren Bildner. Ihr Studio lag tief im Innern des Gebäudes, eigentümlich geschnitten und erfüllt vom Röcheln des Ventilators neben der Tür. »Ciao, Franz.«
»Ciao, Therese.« Franz war ein stämmiger Deutscher, mit braunem Bart und einem zerknitterten Laborkittel. An seiner Halskette war eine Cyberbrille befestigt. »[Das ist also das neue Model?]«
»Ja.«
Franz fummelte an seiner Brille herum und scannte Maya, während er ins Studio hinüberging. Er lächelte. »[Interessanter Knochenbau.]«
»[Was meinst du?]« fragte Therese. »[Kannst du mir ein Modell von ihr anfertigen? Vielleicht eine hübsche poröse Plastik?]« Sie feilschten miteinander, in einem mit so vielen Slangausdrücken durchsetzten Deutsch, dass Mayas Übersetzer streikte.
Aus den Tiefen des Labors näherte sich ein weiterer Mann. »He, hallo, wie schön.«
»Ich heiße Maya. Und ich spreche auch englisch.« Maya schüttelte dem Mann die Hand. Er trug einen Plastikhandschuh.
»Ciao, Maya. Ich bin Eugene.« Eugene nahm die Brille ab, ließ sie an der Halskette baumeln und musterte Maya eingehend. »Mir gefällt dein Gespür für Farben. Du hast echt Mut.«
»Bist du Amerikaner?«
»Aus Toronto.« Ohne die Brille sah Eugene richtig nett aus. Ein wenig schlaksig und mit scharf gezeichneten Gesichtszügen, aber voller Energie. Eugene hatte seit längerem nicht mehr gebadet, doch er verströmte einen faszinierenden Geruch, der an warme Bananen erinnerte. »Du warst noch nicht in unserem Studio, hab ich Recht? Komm, ich führ dich mal herum.«
Eugene zeigte ihr eine mit Kameras gespickte Scanmulde und zwei große, durchscheinende Assembletanks. »Hier erfassen wir die Modelle«, erklärte Eugene, »und darin
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