Heiliges Feuer
findet die physische Umsetzung statt. Dieser alte Kasten«, er tätschelte die transparente Tankhülle, »ist ein thermoplastischer Realisator mit Laserhärtung. Aber wir betreiben hier keine industrielle Fertigung. Wir sind Kunsthandwerker. Franz hat ein paar faszinierende kulturtechnische Modifikationen entwickelt.«
»Wirklich? Wunderbar.«
»Kennst du dich mit thermogehärteten Arbeiten aus?«
»Nein.«
Eugene war sehr geduldig. Offenbar gefiel sie ihm. »Man füllt den Tank mit einem speziellen Flüssigkunststoff. Dann feuert man Laserstrahlen in den Kunststoff hinein, bis er sich dauerhaft verfestigt. Die Umrisse des Objekts werden von den Bewegungen des Strahls definiert - im Fokus des kohärenten Lichts verfestigt sich die Flüssigkeit. Der Strahl ist natürlich Ausfluss unseres virtuellen Designs - somit können wir reale Gegenstände vollständig im Computer entwerfen. Oder aber wir fotokopieren 3-D-Realitäten. Zum Beispiel deinen Körper. Was wir heute tun werden.«
Der technische Wortschwall schien die Sprachtinktur aus ihrem Kopf zu vertreiben. »Ich glaube, ich habe es begriffen. Das ist so etwas ähnliches wie Fotografie.«
»Genau! Ganz ähnlich wie Fotografie! Plastische Fotografie. Der Kunststoff ist teuer, aber wir können ihn karbonisieren. Wir fertigen davon billige 3-D-Schaumobjekte an, die hauptsächlich aus Gas bestehen. Am meisten Spaß macht es, das Plastik zu einem schaumigen Aerogel zu schlagen. Auf diese Weise können wir ein Gebilde von der Größe eines Elefanten herstellen, das nicht einmal drei Kilo wiegt.«
Maya blickte das Gerät respektvoll an. »Das ist ein großer Tank, aber nicht groß genug für einen Elefanten.«
»Elefanten stellt man in Einzelteilen her, die anschließend zusammengeklebt werden«, erklärte Eugene und verdrehte ein wenig die Augen.
»Tut mir Leid«, sagte sie vorsichtig. »Normalerweise bin ich nicht so begriffsstutzig, aber ich stehe unter Drogen.«
Eugene brach in Gelächter aus. »Du machst mir wirklich Spaß.«
»Dann bist du also eine Art Bildhauer? Ein Künstler?«
»Kunsthandwerk ist nicht dasselbe wie Kunst.«
»Dann bist du also ein Techniker?«
»Kunsthandwerk ist auch nicht bloß Technik. Ich will dir noch etwas zeigen. Du bist ein Model, okay? Das müsste dir eigentlich gefallen.«
Eugene geleitete sie zu einer lebensgroßen unbekleideten Plastikfigur. Die Nackte lag auf dem Rücken, hatte die Hände unter dem Kopf verschränkt und strahlte animalische Gelassenheit aus.
»Wer war das Modell?«
»Niemand. Und jeder. Die Munchener sonnen sich gern nackt, verstehst du. Also gingen wir letzten Sommer eines Sonntags zum Flauchersteg und scannten ein paar Leute mit unserer Brille. Dann fertigten wir ein virtuelles Mischbild an, das wir im Kunststoff abbildeten; und das kam dabei heraus: die Munchener sonnenbadende Durchschnittsnackte.« Eugene betrachtete die Figur voller Stolz, dann deutete er mit dem Daumen über die Schulter. »Ihr männliches Gegenstück, der Munchener Durchschnittsnackte, steht dort in der Ecke; im Moment ist er nicht so leicht zu erkennen, weil sich die Beschichtung abgenutzt hat und er aus durchsichtigem Material besteht.«
»Ah ja.«
»Du siehst, dass sie als Model nicht sonderlich attraktiv ist; ich meine, Durchschnittsmenschen sind definitionsgemäß nicht sonderlich auffallend, nicht wahr? Aber das war bloß der erste Schritt. Als Nächsten haben wir sie von etwa hundert Männern betrachten lassen - die alle Brillen trugen, damit wir ihre Augenbewegungen registrieren konnten.«
»Wie hast du hundert Männer dazu bekommen, eine nackte Plastikfigur anzustarren?«
»Wir sind einfach zum Marienplatz geradelt und haben eine Performance veranstaltet. Die Touristen haben bereitwillig mitgemacht.«
»Oh.«
»Dann haben wir die Aufmerksamkeitsstatistik in Algorithmen zusammengefasst, virtuell umgesetzt und das Ergebnis ausgehärtet. Schau dir das mal an.«
Er ging zu einer Ecke und hob ein dünnes schwarzes Tuch hoch.
»Warte einen Moment«, sagte Maya. »Das ... das kenne ich doch. Das ist ...«
»Die Venus von Willendorf.«
»Ja, das ist sie. Genau.«
»Anfangs habe ich geglaubt, wir würden die schönste Frau der Welt herstellen«, sagte Eugene, »eine Frauengestalt, welche die männliche Aufmerksamkeit wie ein Magnet fesselt! Aber herausgekommen ist eine recht ordentliche Replik einer Figur, die irgendein paläolithischer Kerl vielleicht aus einem Mammutzahn geschnitzt hat. Wenn man sich mit
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