Heiliges Feuer
bringen.
Klaudia war erstaunlich gut darin. Klaudia war kein Genie im Umgang mit Geld, aber sie verstand sich darauf, die Puppen zur Geltung zu bringen - Puppen, die über Cafetische kletterten, Tennisschläger schwangen oder einander hingebungsvoll an den Zehen knabberten. Diese Freiluftorgie gut gekleideter Mayas war ein wahrer Publikumsmagnet. Maya nahm zwischen den reglosen Plastikpuppen Platz und vollführte auf Klaudias Stichwort hin plötzlich eine Bewegung. Die Wirkung war erstaunlich.
Maya gefiel es, vom Publikum bewundert zu werden. In aller Öffentlichkeit, und noch dazu gleich in mehrfacher Ausführung. Die romantische, naive Maya; die pink gepuderte Maya; die tanzende Maya, behängt mit Modeschmuck und auffallendem, weit geschwungenem Lidstrich; die Maya im weißen, batteriebetriebenen Neonanzug; die lebhafte, Hallo-SeemannMaya im rot-weißen Hosenrock; die sportliche Maya auf Gebirgswanderung; die kühle, klassisch gekleidete Maya mit einem Frappeglas in der Hand. Gleich mehrfach vorhanden zu sein, machte ihr Spaß; ein kleines Spektakel. Als der Tag vorbei war, fühlte Maya sich gleichwohl ausgelaugt und merkwürdig erschöpft.
Es war Thereses kommerziell erfolgreichster Tag seit Monaten. Sie verkauften so viel Ware (einschließlich sämtlicher Maya-Puppen), dass Therese beschloss, die Stadt zu verlassen, um sich auf Einkaufstour zu begeben.
»Du kannst dich ruhig in Prag vergnügen, während ich unterwegs bin«, meinte Therese zu Maya. »Aber du solltest Klaudia mitnehmen. Soviel ich weiß, ist dies das erste Mal, dass Eugene ein Mädchen um ein Date bittet. Wenn du Klaudia mitnimmst, stehen dir mehr Optionen offen.«
»Eugene hat mich nicht um ein Date gebeten, und ich mag ihn nicht mal. Jedenfalls nicht besonders. Außerdem, weshalb sollte ich nach Prag fahren? Hier in Munchen gibt es genug interessante Cafes.«
»Sei doch nicht so stur, Schätzchen. Prag ist eine bedeutende Modestadt. Das Tete du Noye ist in. Du bist ein Model in der Modebranche, daher ist es wichtig für dich, Kontakte zu knüpfen.«
»Das klingt nach mächtig viel Arbeit.«
»Na ja, zumindest ist es eine andere Art Arbeit. Klaudia hat sich mal Ausgang verdient, und du auch. Und wenn du nicht auf Klaudia aufpasst, bekommt sie bloß Ärger. Den kriegt sie immer, wenn sie ausgeht.«
»Das klingt alles so umsichtig und praktisch, Therese. Du bist immer so voller Schliche und Ränke.«
»Ich habe einiges zu erledigen. Von einem leeren Laden kann ich nicht leben, das weißt du ebenso gut wie ich. Schaff mir Claudia für eine Weile aus den Augen - und nimm deine Kamera mit. In Prag gibt es Scharen interessanter Frauen.« Therese kniff die Augen zusammen. »Die lebendigen Prager Mädchen ... Die verstehen sich darauf, fragil und exotisch zu wirken.«
Wenn Therese sich einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte, war Widerstand zwecklos. Maya und Klaudia packten ihre Rucksäcke und Kleidersäcke und bestiegen am Dienstagvormittag den Zug nach Prag. Klaudia zahlte. Klaudia zahlte fast immer; sie bekam ein kleines Gehalt sowie eine erkleckliche Summe von ihren wohlhabenden und einflussreichen Munchener Eltern.
Sie machten es sich sogleich in den Sitzsäcken bequem. Maya fühlte sich gereizt und erschöpft. Klaudia war zweiundzwanzig; die Aufregung und die anstrengende Arbeit vom Vortag hatten ihre Laune nur gehoben. Klaudia war zu allem bereit. »[Du solltest besser etwas essen, Maya]«, sagte sie auf deutsch. »[Du isst nie.]«
»Ich bin eben nie hungrig.«
Klaudia stellte ihren Übersetzer richtig ein. Trotz der guten, jahrelangen staatlichen Ausbildung, die sie genossen hatte, war Klaudia im Englischen sehr unsicher. »[Also, heute isst du etwas, sonst kriegst du es mit mir zu tun. Du bist so blass. Schau dir bloß mal die Perücke an. Kannst du dir nicht etwas Mühe geben?]« Klaudia rückte grob Mayas gebrauchten blonden Haarschopf zurecht. »[Du hast wirklich seltsames Haar, Mädchen, weißt du das? Dein eigenes Haar fühlt sich eher nach Perücke an als die Perücke.]«
»Das kommt von meinem Shampoo.«
»[Von welchem Shampoo? Willst du mich verarschen? Du benutzt niemals Shampoo. Ich sollte dir mal einen ordentlichen Proteinkräftiger verabreichen. Ich weiß, dass du dir das Haar lang wachsen lassen willst, aber du solltest es doch ein bisschen schneiden. Ohne Perücke siehst du aus wie eine große ragazzina.]«
»Ja, Klaudia, ich bin die große Ragazzina.«
Klaudia sah sie so an, wie Deutsche sie immer ansahen, wenn
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