Heillose Zustände: Warum die Medizin die Menschen krank und das Land arm macht (German Edition)
die vermeintliche Vorsorge nur dazu, dass die Sorgen vorverlegt werden.
Krebsärzte und Präventionsforscher haben die Sterblichkeit an Brustkrebs in Europa in den vergangenen Jahrzehnten analysiert. [79] Sie verglichen Regionen miteinander, in denen es in einem Landesteil Mammographie-Screening gibt, während es in einem anderen erst später eingeführt wurde. Im Beobachtungszeitraum zwischen 1989 und 2006 ging in allen Studienregionen der Anteil an Brustkrebs deutlich zurück. Der Rückgang verstärkte sich jedoch nicht von dem Zeitpunkt an, zu dem in einem Land die Reihenuntersuchung begonnen wurde. »Obwohl das Mammographie-Screening zu unterschiedlichen Zeiten begonnen wurde, sank die Sterblichkeit an Brustkrebs gleichbleibend. Das spricht dafür, dass es nicht am Screening liegt, wenn weniger Frauen an dem Tumor sterben«, schreiben die Autoren. »Verbesserte Therapien und eine effizientere Nutzung der Gesundheitssysteme sind eine plausiblere Erklärung.«
Die Forscher hatten Länder miteinander verglichen, in denen die Risiken für Brustkrebs, der sozioökonomische Status und das Gesundheitswesen ähnlich waren. In Schweden begann das landesweite Mammographie-Screening 1986, in Norwegen 1996. Trotzdem betrug der Rückgang der Brustkrebsfälle in Schweden 16 Prozent, in Norwegen 24 Prozent. In den Niederlanden wurde das Screening 1989 eingeführt, in Belgien erst 2001. Hier war der Unterschied mit 25 zu 20 Prozent nicht aussagekräftig. In Nordirland begann eine systematische Reihenuntersuchung auf Brustkrebs 1990, in Irland erst 2000. Auch in diesen beiden Vergleichsregionen war der Unterschied mit 29 zu 26 Prozent nicht statistisch signifikant. In keinem der untersuchten Länder ließ sich in den Folgejahren des Screening-Beginns ein verstärkter Rückgang der Todesfälle durch Brustkrebs beobachten. Dieser erfreuliche Trend begann vielmehr bereits vor oder kurz nach Einführung des Screenings – und kann daher nicht auf dieses zurückgeführt werden.
Die Angst vor Krebs treibt trotzdem zahlreiche Menschen zu Früherkennungstests, doch viele davon taugen nichts. Wenn Prominente schwer erkranken oder früh sterben, ist der Drang, etwas zur Vorbeugung tun zu wollen, besonders groß. Der medial ausgebreitete Schicksalsschlag eines Prominenten konfrontiert viele Menschen schließlich mit der eigenen Hinfälligkeit und Vergänglichkeit. Die Angst vor dem Tod, die bei den meisten Menschen eine Angst vor dem Leid ist, reduziert sich oft auf eine einzige Frage: Wie kann ich Schmerz, Siechtum und lange Qualen vermeiden?
Nach dem Krebstod der 50-jährigen Schauspielerin Barbara Rudnik 2009 wurden viele Rezepte angeboten. Das einfachste lautet – mehr Vorsorge. Hört sich einleuchtend an, geht aber in der Krebsvorsorge oft nicht auf. Beispiel Brustkrebs: Der Nutzen der Mammographie ist gering, die Schäden der Untersuchung betreffen weitaus mehr Frauen. Unterziehen sich 1000 Frauen alle zwei Jahre einer Mammographie, kann statistisch gesehen ein Leben gerettet werden. Dafür werden fast 100 dieser Frauen einem falschen Krebsverdacht ausgesetzt, oder ihr Tumor wird übersehen. Die Folgen sind Angst, unnötige Gewebeproben, überflüssige Therapien; in seltenen Fällen wird sogar eine gesunde Brust entfernt. Bei Frauen über 50 Jahren ist die Bilanz etwas besser. Unter 50 Jahren ist der Nutzen noch geringer, deshalb wird Mammographie-Screening in dieser Altersgruppe nicht empfohlen.
Diese Zahlen beruhen auf sorgfältigen Studien und sagen etwas darüber aus, ob ein Früherkennungstest bevölkerungsweit etwas nutzt. Über den Einzelfall sagen sie nichts aus. Es gibt Frauen, denen durch Früherkennung das Leben gerettet wird. Gegen diese Erfahrung sieht jede Statistik kühl und alt aus. Auf alle Frauen bezogen, stimmt aber leider auch: Sogar unter Frauen in Screening-Programmen, die sich alle zwei Jahre mammographieren lassen, sind 40 Prozent der Brustkrebsfälle Intervallkarzinome. Das heißt, der Krebs wird nicht bei der Untersuchung erkannt, sondern fällt den Frauen in der Zwischenzeit auf, ohne dass ihnen die regelmäßige Mammographie genutzt hätte.
Trotzdem wird heftig für die Krebsvorsorge geworben. Besonders irritierend sind junge Werbeträger oder Kampagnen, die mit dem Brustkrebs der 30-jährigen Popsängerinnen Kylie Minogue und Anastacia Ängste schüren. Der Aufruf zur Darmspiegelung von den Klitschko-Brüdern oder von Maischberger-Schöneberger-Kerner führt ebenfalls in die Irre. In
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