Heimat Mars: Roman (German Edition)
Pflicht und Loyalität erwarte ich das auch gar nicht von Ihnen. Aber glauben Sie einer uralten Politikerin, die bedauerlicherweise dazu beigetragen hat, einiges von dem zu säen, was jetzt reife Frucht trägt: Der Große Vorstoß, um den man jetzt einen solchen Wirbel macht, ist nur Tarnung. Die Erde macht sich große Sorgen um etwas, das ihr besitzt oder könnt oder für das ihr vielleicht das Potential habt. Da ihr keine wirksame militärische Operation zustande brächtet und eure Wirtschaftskraft kaum eine Rolle spielt, muss es um etwas anderes gehen. Casseia, was könnte der Mars besitzen, das die Erde fürchten müsste?«
»Ich weiß es nicht.«
»Es muss etwas sein, das die Kleinen und Schwachen ebenso bewerkstelligen können wie die Großen und Starken. Etwas, das strategische Auswirkungen haben kann. Bestimmt fällt Ihnen noch ein, was es sein könnte. Welche Möglichkeiten hätte der Mars, die Erde zu bedrohen?«
»Gar keine«, antwortete ich. »Wie Sie ganz richtig gesagt haben, sind wir schwach und zählen nicht.«
»Halten Sie Politik für ein sauberes, ehrliches Geschäft rationaler Menschen?«
»Im besten Fall ja«, antwortete ich lahm.
»Aber Ihrer Erfahrung nach …«
»Die marsianische Politik ist bislang recht einfach gestrickt gewesen«, entgegnete ich.
»Ihr Onkel Bithras … Ist er ein erfahrener Politiker?«
»Ich glaube schon.«
»Sie meinen, im Vergleich zu Ihnen wirkt er so.«
Mir wurde immer mulmiger. Ich mochte es nicht, wenn mich jemand in die Mangel nahm, selbst wenn es gesellschaftlich Höherstehende als ich taten. »Ich glaube schon«, wiederholte ich.
»Na ja, Politik ist ja nicht unweigerlich ein schmutziges Geschäft und korrumpiert auch nicht immer, aber einfach ist Politik nie. Es ist schon schwer, rationale Leute mit ähnlichem Hintergrund unter einen Hut zu bringen. Planeten ganz unterschiedlicher Vorgeschichte und mit völlig verschiedenen Perspektiven unter einen Hut zu bringen, ist ein politischer Albtraum. Ich hätte Bedenken, eine solche Aufgabe zu übernehmen. Aber Ihr Onkel scheint sich ja voll in diese Sache hineingestürzt zu haben.«
»Er ist vorsichtig.«
»Er ist ein Kind, das plötzlich in der Oberliga spielt.«
»Das sehe ich anders.«
Miss Muir lächelte. »Was wird hier seiner Meinung nach in Wirklichkeit gespielt?«
»Im Augenblick gehen wir davon aus, dass die Erde den Mars braucht … Die Erde verlangt vom Mars, dass er sich für irgendeine großangelegte Operation bereithält. Das mag der Große Vorstoß oder irgend etwas anderes sein.«
»Glauben Sie das wirklich?«
»Ein anderer Grund fällt mir nicht ein.«
»Meine Liebe, Ihr ganzer Planet – Ihre Kultur – könnte von dem abhängen, was in den nächsten paar Jahren passiert. Sie tragen eine Verantwortung, um die ich Sie nicht beneide.«
»Ich tue mein Bestes«, sagte ich.
Miss Muirs graue Augen verschleierten sich. Mir wurde klar, dass sie mir von Politikerin zu Politikerin Fragen unterbreitet hatte, auf die ich ihr nur unzulängliche Antworten gegeben hatte.
Orianna sah mich traurig an, als habe sie soeben die Schwachpunkte bei einer Freundin entdeckt.
»Ich wollte Sie nicht beleidigen«, sagte Miss Muir. »Ich bin davon ausgegangen, dass wir es hier mit einem politischen Problem zu tun haben.«
»Ich bin nicht beleidigt«, log ich. »Orianna hat mich heute kreuz und quer durch New York geschleppt, ich bin nur ein bisschen benommen. Ich muss mich ausruhen und das alles erst einmal verdauen.«
»Natürlich«, sagte Miss Muir. »Ori, richte deiner Mutter und deinem Vater meine besten Grüße aus. Es war sehr schön, dich wieder einmal zu sehen. Lebt wohl.« Plötzlich starrten wir auf eine leere weiße Wand.
Orianna stand auf. Ihr Mund war zu einem Strich zusammengekniffen, und sie vermied es bewusst, meinem Blick zu begegnen. »Jeder hier«, sagte sie schließlich, »verhält sich gelegentlich etwas … schroff. Ich glaube, das hat mit ihrem Zeitgefühl zu tun. Casseia, wir sind nicht hergekommen, damit du Minderwertigkeitsgefühle entwickelst. Das ist das letzte, was ich möchte.«
»Sie hat mich ein klein wenig zusammengeschissen, findest du nicht?«, sagte ich ruhig. »Der Mars ist nicht unnütz.«
»Lass dich von deinem Patriotismus bitte nicht blind machen, Casseia.«
Ich klappte den Mund zu. Dass ein achtzehnjähriges Kind der Erde dermaßen von oben herab mit mir sprach, konnte ich nicht zulassen.
»Du musst dich mit ihren Fragen ernsthaft auseinandersetzen. Sie ist
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